Die nackten Zombies – Achtung Berlin Festivalbericht Teil I


In der zurückliegenden Tagen besuchten wir für euch das mittlerweile drittgrößte Filmfestival der Stadt: achtung berlin! In dem frisch dazugewonnenen Kino International legte das Festival, welches sich thematisch dem Filmschaffen aus Berlin und Brandenburg verschrieben hat, am 14. April mit seiner Festivaleröffnung einen gelungenen Start hin. Vor vollem Haus mit geladenen Gästen und in bester Stimmung weckte ein Doppel, bestehend aus dem Kurzfilm „Neiiiiiin“ (von Mickey Nedimovic/ u.a. mit Alice Dwyer) und dem Zombie-Schocker „Rammbock“ von Marvin Kren, nicht nur Vorfreude auf das bunte, genre-übergreifende Programm, sondern auch auf all das, was diesem Filmfest seinen steilen Aufstieg ermöglichte.

Die achtung berlin-Macher um die beiden Festivalleiter Hajo Schäfer und Sebastian Brose sind dicht an dem dran, was in der kreativen Filmmetropole geschieht. Mit ihrem Filmfestival profitieren sie in doppelter Hinsicht von den Leistungen des regionalen Filmförderers Medienboard Berlin-Brandenburg, der zum einen das Festival selbst mit einer nicht zu unterschätzenden Förderung von 75.000 Euro jährlich unterstützt und zum anderen – was fast noch ungleich höher einzuschätzen ist – mit seinen Zuwendungen viele der bei achtung berlin (ebenso wie bei anderen Filmfestivals) gezeigten Streifen erst ermöglicht.

Die Festivaleröffnung

Nach einer launigen Eröffnung, in der Medienboard-Chefin Petra Müller und die beiden Festivalleiter mit Hilfe des Moderators Christian Steiffen amüsant auf die Tage vorbereiteten, gelang dem Duo Schäfer/Brose mit „Rammbock“ ein echter Coup. Der Zombie-Streifen im ungewöhnlichen, mittellangen Format bestach mit Witz, literweise spritzendem Filmblut und einer wunderbar leisen Lovestory. „Ein anständiger Zombiefilm für Berlin, das hat uns in der Tat noch gefehlt.„, wie die Kollegen vom Internet-Radio BLN.FM es treffend formulierten. Mit „Rammbock“ überzeugte der mit samt großen Teilen seiner Crew (u.a. seiner Mutter Brigitte Kren, die eine tattrige Alt-Zombie gibt) anwesende Regisseur Krem übrigens nicht nur die Besucher im Kino International, sondern auch schon zuvor die Jury des prestigeträchtigen Saarbrücker Max Ophüls Festival, wo er als „Bester Mittellanger Film“ geehrt worden war.

Bedways

Am Freitag Abend ging es abermals hart zur Sache, wenn auch in einem anderen Kontext. Im Filmtheater am Friedrichshain wurde zu später Stunde RP Kahls neues Autorenwerk „Bedways“ gezeigt. Die Gemüter können sich streiten, ob es sich bei diesem Film nun um einen Independentfilm handelt, oder ob Kahl nicht schon die Grenzen zum Experimentalkino überschreitet. Bevor es allerdings losging, versagte der Filmvorführer dem Publikum und dem anwesenden Team den Ton des Films, was verständlicherweise dazu führte, dass sich der Regisseur lautstark zu Wort meldete und sich, nach dem Verlassen des Saals sowie baldiger Rückkehr, dazu entschloss, dem Publikum schon mal vorweg etwas über seinen Film, bzw. seine Lebensgeschichte zu erzählen. Kahl brillierte, allein auf der Bühne, als amüsanter Alleinunterhalter. Eine Viertelstunde später startete der Film ein zweites Mal, diesmal mit Ton.

Bedways“ eröffnet mit einer Liebeszene, die an Nacktheit nicht geizt. Und auch im Verlauf der Handlung wird dem Zuschauer ziemlich schnell klar, warum „Bedways“, der seine Uraufführung als Abschlussfilm der „Perspektive Deutsches Kino“ feierte, auf der Berlinale 2010 als Skandalfilm gehandelt wurde. Viel Sex und nacktes Fleisch schocken noch immer die Gemüter. Dabei transportiert „Bedways“ weitaus vielseitigere Motive, erforscht die Dimensionen von Begierde, Verwirklichung und Selbstreflexion und empfiehlt sich dem Zuschauer überdies als Film über den Film. Kahls Protagonisten, geführt von der jungen Regisseurin Nina (Miriam Mayet), drehen in einem heruntergekommenen Appartment einen Film, von dem nicht mal die Regisseurin wirklich weiß, wovon er handeln soll. Eines allerdings ist klar, ihre Bilder sollen die Liebe im echten Sex zeigen, das Gefühlte sichtbar machen. Sie trifft sich mit den beiden Hauptdarstellern Hans (Matthias Faust) und Marie (Lana Cooper) zu Probeaufnahmen, die sich zu einem Spiel um Verführung, seelische Nacktheit und Verunsicherung ausweiten. Kahls Film ist sperrig, schön, kalt und wundervoll fotografiert, auch wenn die Dialoge zuweilen arg statisch wirken.

Lychener 64 – Von einem aussichtslosen Kampf und der ganz großen Liebe

Am späten Sonntagabend konnten ortsansässige Festivalbesucher im Filmtheater am Friedrichshain einem wohlbekannten Phänomen beiwohnen: Der Sanierungswelle Prenzlauer Berg. Regisseur Jakob Rühle, selbst ehemaliger Bewohner der Lychener 64, verfilmte mit seinen beiden Mitbewohnern Teresina Moscatiello und Fabio Donadero den Wandel des eigenen Wohnhauses – von der Sanierungsbenachrichtigung der Mieter bis hin zur Begehung des fein säuberlich sanierten Wohnblocks. Erfreulicherweise leistet Rühle keinen weiteren klischierten Beitrag zum „Schwaben-Bashing„, sondern bleibt stattdessen bei den Befindlichkeiten der aus Selbstverwirklichung und Alltag herausgerissenen Hausbewohner und deren letztendlich aussichtslosem Kampf gegen die Sanierungspläne. Heimlicher Höhepunkt ist dabei die Geschichte des renitentesten Mieters Viktor und dessen Freundin, die sich nichts sehnlicher wünscht als endlich auszuziehen und dennoch ihrem Freund bis zum bitteren Ende zur Seite steht. Ein Ende dessen tragikomische Pointe eine bitterböse Überraschung für Sie bereithält. …

Weiter zu: Hedonismus und Diktatur – Festivalbericht Teil 2