Interview mit Jewish Film Festival Berlin-Organisatorin Nicola Galliner


Das Jewish Film Festival Berlin feiert gerade seine 16. Ausgabe und zeigt noch bis zum 6. Mai im Kino Arsenal jüdische Filme aus aller Welt. Wir sprachen mit der Festivalleiterin Nicola Galliner über die Geschichte des von ihr initiierten Festivals und über die Schwierigkeiten, die die zurückliegende Festivalplanung begleiteten.

Berliner Filmfestivals
: Beim Achtung Berlin Filmfestival hat kürzlich Lior Shamriz´ Spielfilm „Saturns Returns“ den Preis für den „Besten Spielfilm“ erhalten. Shamriz ist in Israel geboren, hat in Berlin studiert und ist nur einer von vielen jungen Israelis, die es nach Berlin zieht. Was macht die Stadt so interessant?

Nicola Galliner: Das ist ein tolles Phänomen, aber eine Zuwanderung von jungen Juden gibt es bereits seit zehn Jahren. Viele besitzen durch die Großeltern noch ein Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Im jetzigen Ausmaß, es gibt eine offizielle Zahl von ca. 3000 jungen Israelis, findet das aber erst seit ein paar Jahren statt. 65 Jahre nach Kriegsende ist diese Situation eine interessante Wendung und Weiterentwicklung der Geschichte. Berlin ist eine extrem vielfältige Stadt und besitzt eine wunderbare Mischung aus Zugezogenen, die es in keiner anderen deutschen Stadt gibt. Es entsteht viel Energie. Ich habe in Frankfurt und Stuttgart gelebt, beide sind überhaupt nicht mit Berlin zu vergleichen.

BF: Wann sind Sie nach Berlin gekommen?

Galliner: Ich lebe hier seit 1970. In Kreuzberg gab es damals viele Künstler. Ich kam gerade aus London. London ist so groß, jede Fahrt oder das abendliche Ausgehen war ein Graus. Niemand hatte ein Auto, das war zu teuer, dadurch war man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und fuhr jedes Mal anderthalb Stunden, nur um irgendwohin zu kommen. In Berlin war ich plötzlich in einer Kleinstadt. Aber die Bahnen fuhren die ganze Nacht und es war unheimlich was los. So wie heute.

BF: Auf dem aktuellen Plakat des Festivals ist ein Vogel Strauß zu sehen. Nicht gerade ein Motiv, das man mit einem jüdischen Filmfestival assoziiert.

Galliner: (lacht) Den habe ich bei einer ehemaligen Kollegin gesehen, die immerzu Bilder macht, egal wo sie ist. Es war Liebe auf den ersten Blick. Der Strauß ist ein starkes Tier und setzt sich selbst gegen Löwen und Elefanten durch, sagt zumindest Wikipedia. Er passte einfach zur Situation und hat all das ausgedrückt, was ich in dem Moment empfunden habe, als uns die Mittel vom Hauptstadtkulturfonds verweigert wurden.

BF: Wann kam die Absage für die Förderung?

Galliner: Das kann man kaum eine Absage nennen. Mitte September haben wir Bescheid bekommen, dass von unserem Lotto-Antrag nur 20 Prozent bewilligt werden, unter der Bedingung, dass ich kein Honorar bekomme und zwei von meinen Mitarbeitern 30 Prozent weniger. Völlig absurd. Im Februar wurde uns dann mitgeteilt, dass wir auch keine Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds erhalten. Es folgten Gespräche und Ende Februar hatte es sich dann geklärt und die Senatsverwaltung gab etwas dazu.

BF: Was hätte das für die Filmauswahl und das Festival bedeutet?

Galliner: Wir hätten keine Gäste eingeladen und wesentlich weniger Filme gezeigt, da jeder Film kostet. Das Festival wäre nur ein Gerippe gewesen, denn es abzusagen, wäre überhaupt keine Lösung gewesen. Aber die Situation hat gezeigt, wie dünn das Eis ist. Und wie man in Berlin mit den Filmfestivals umgeht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es aus Sicht des Senats neben der Berlinale kein anderes Filmfestivalevent gibt. Über das Jahr hinweg finden fast fünfzig davon statt. Es ist ganze Welt vertreten. Aber das wird leider nicht anerkannt, bzw. nicht als eine eigenständige Kunstform wie Oper oder Theater gesehen.

BF: Mit welchen Mitteln wurde das Festival in den letzten Jahren finanziert?

Galliner: Als es 1995 gegründet wurde, war es Teil der jüdischen Volkshochschule. Das ging bis 2003. Dann hatte die jüdische Gemeinde einen finanziellen Engpass und hat sich zu großen Teilen aus dem Festival zurückgezogen. Danach folgte eine Finanzierung durch den Hauptstadtkulturfonds, der aber nicht dauerhaft einzelne Kulturprojekte fördert, was ich prinzipiell richtig finde.

BF: Die Entscheidung kam dennoch ziemlich überraschend …

Galliner: Ich habe das auch nicht persönlich genommen, sondern eher als Zeichen des absoluten Desinteresses gegenüber den vielen anderen Festivals. Dabei ist die jährliche Auswahl an Filmen riesig. In der Summe produzieren alle Festivalmacher so viel Material, dass wir dem Rest der Welt eigentlich schon zeigen, dass es nicht nur ein Berliner Filmfestival und die Filme, die dort laufen, gibt. Berlin ist nicht nur die Berlinale. Israel etwa ist ein filmverrücktes Land. Es hat die Bevölkerungsdichte von Berlin und knapp ein Dutzend Filmhochschulen. Wenn in Israel Festivals stattfinden, dann ist das immer ein riesiges Event. Der Film hat dort einen ganz anderen Stellenwert.

BF
: Viele israelische Filme, die man in Deutschland sehen kann, drehen sich allerdings um Themen wie …

Galliner: Sie meinen Krieg und Geschichte. Natürlich sind die großen und erfolgreichen Filme, wie zum Beispiel „Waltz with Bashir“ von Ari Folman, sehr kriegs- und konfliktorientierte Arbeiten. Aber das ist klar. Krieg und Schuld, das sind universelle Themen und große Emotionen, die auch in Deutschland verstanden werden, obwohl es sich um andere Kriege handelt oder von einer anderen Zeit erzählt wird. Was man nicht vergessen darf, die Deutschen haben sich im Nationalsozialismus im Grunde selbst umgebracht. Das war ein kultureller Selbstmord, denn Juden lebten seit vielen Generationen in Deutschland. Das war nicht irgendjemand Fremdes, der vom Mond eingewandert war. Das wird leider oftmals so gesehen. Juden waren aber immer schon direkte Nachbarn, mit denen man seit Generationen zusammenlebte und auf die man dann in einer Art und Weise losging, die in der Geschichte einmalig war. Beide Seiten suchen noch heute Antworten und nach einer Erklärung. Da ist es nur logisch, das Filme, die auch hier gezeigt werden, sich mit solchen Themen auseinandersetzen.

BF: Seit wann organisieren sie das Festival?

Galliner: Seit 1995. Ich hielt ein Prospekt von einem jüdischen Festival in den USA in der Hand und dachte, dass die jüdische Gemeinde das auch in Berlin machen müsste. Ich ging dann zum Arsenal Kino und wurde dort mit offenen Armen empfangen, denn sie wollten so etwas in der Art schon immer machen, hatten sich das aber nicht zugetraut. Ich kam also im richtigen Moment.

BF: Woher kamen diese Berührungsängste?

Galliner: Sie resultierten natürlich aus der Geschichte. Man war unsicher von nichtjüdischer Seite und wusste nicht, wie so ein Festival aufgenommen wird. Ich habe zwanzig Jahre für die jüdische Gemeinde die Volkshochschule geleitet und bekam dort immer wieder von Leuten Anrufe, die mich fragten, ob die Volkshochschule wirklich eine öffentliche Einrichtung ist. Natürlich ist sie das, das ist doch der Sinn dieser Einrichtung. Diese Unsicherheiten gab es zu Beginn auch gegenüber dem Filmfestival.

BF: Wie war die Reaktion der Filmschaffenden aus Israel?

Galliner: Die sind immer begeistert von unserem Publikum. Wir haben durch das Kino Arsenal ein Kinematheken-Publikum, jüdisch wie nichtjüdisch. Das ist sehr selten bei diesen Festivals. Jüdische Festivals in Amerika haben riesige Zuschauerzahlen und sind weitaus größer als wir, aber es sind interne Veranstaltungen mit 95 Prozent jüdischem Publikum. Man merkt das nicht selten an den Reaktionen der Zuschauer. Dort lachen alle im selben Moment. Bei uns lachen die Zuschauer an drei oder vier unterschiedlichen Momenten.

BF: Darf man angesichts der zurückliegenden Turbulenzen nach einem Zukunftsausblick fragen?

Galliner: Natürlich. Wir freuen uns, wenn wir die Mittel für 2011 bekommen. (lacht) Noch ist aber nichts in der Kasse.

BF: Wird es wie im letzten Jahr eine Deutschland-Tour geben?

Galliner: Die Pläne existieren bereits, aber die Finanzierung steht noch nicht. Wenn alles klappt, werden wir wie im letzten Jahr sieben oder acht Städte besuchen.

Interview: Martin Daßinnies

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