Contravision 2010: Ein Publikum, zwei Meinungen


Filmszene: "Der praezise Peter"

Sonntag 19.30 Uhr. Kino Blow Up, finaler Abend des 18. Kurzfilmfestivals Contravision. Viele der Besucher sind Wiederholungstäter. Und vermutlich haben sie alle damit gerechnet, dass die Organisatoren sich den einen oder anderen Spaß erlauben. Vielleicht haben es einige sogar gehofft. Und tatsächlich – nach dem ersten Filmblock, er endete mit dem Animationsfilm „Der präzise Peter„, in dem ein Vater seine Familie nötigt, Fisch in penibler Prozedur zu verspeisen, bekamen die Zuschauer Plastikgabeln in die Hand. Im Foyer des Kinos standen Pappteller gefüllt mit Fisch bereit. Nicht alles an diesem Abend war so leicht zu verdauen.

Nun zum Filmfestival, zu den Filmen: 13 Kurzfilme in drei Blöcken wurden gezeigt. Es handelte sich um die Gewinner, alle vom Publikum bestimmt, der vergangenen vier Festivaltage, und damit um vorausgewählte Filme – was sich im Unterhaltungswert bemerkbar machte. Der erste Block eröffnete mit dem stimmigen „Posledniy den‘ bulkina i.s.„. Referenzen an George Orwells1984“ und Huxleys „Brave New World“ sind unverkennbar. Ein Angestellter eines Unternehmens möchte sich von einem gewissen Sergevyevich Bulkin quittieren lassen, dass dieser glücklich in seinem Leben war. Ein Leben, das bis in das kleinste Detail vorbestimmt wurde von eben jenem Unternehmen. Bulkin weigert sich und stirbt. Auch das war vorbestimmt. Der Ausweg liegt hier nur in der Art. Der Film ist düster, sehr russisch und zeigt eine absurde Abkehr aus dem täglichen Determinismus.

Es folgte „Tiefensucht“ von Florian Fessl, eine Vater-Sohn-Geschichte, die auf einem Boot spielt. Fessls Kammerspiel fesselt nicht, mag man denken. Der Zuschauer bekommt ein paar schöne Landschaftsbilder präsentiert, die Geschichte aber ist schlichtweg öde. Der nächste Film: „Lumo„, eine Animation, von Antje Heyn, funktioniert gleich ganz ohne Geschichte. Aus einem einzigen schwarzen Kreis entstehen mit fließenden Übergängen immer neue Formen, Lebewesen und Gegenstände. Es folgte, ähnlich belanglos, „Uwe + Uwe“ von Lena Liberta. Ihr Film ist statisch und geradezu pathologisch hochschulhaft. Der letzte Film des ersten Blocks war, wie bereits erwähnt, „Der präzise Peter“ von Martin Schmidt. Glücklicherweise nur fünfeinhalb Minuten lang, länger hätte man die stampfende Akustik der Familie beim Fischessen nicht ertragen.

Filmszene: "El nunca lo haria"

Der zweite Block wurde eröffnet mit dem spanischen Kurzfilm „Él nunca lo haría„. Ein kleines Mädchen möchte einen Großvater geschenkt bekommen. Sie geht mit ihren zunächst skeptischen Eltern in ein „Großvater-Heim„. Dort zeigt sich, dass Großeltern eine Art Haustierfunktion besitzen und dementsprechend behandelt werden. Anfangs wirkt diese Idee durchaus amüsant, man möchte zwischenzeitlich aber den ein oder anderen Gedanken an das Wort „pietätlos“ verschwenden. Dennoch gab es artig Applaus für die Regisseurin Anartz Zuazua. Ein gewisser Unterhaltungswert läßt sich auch nicht verleugnen. Ein Großvater, der Stöckchen holt, das wirkt grotesk und zugespitzt zugleich.

Liebste Prinzessin leben“ handelt von zwei Frauen, Louise und Tessa, die ihr Glück beieinander finden. Nackte Haut, attraktive Frauen, stimmig wie professionell inszeniert. Auf den ersten Blick alles perfekt – Wolf Gresenz Film trug den Gesamtsieg im Festivalwettbewerb davon. Aber die Nackheit blendet, letztendlich fehlte auch hier die überzeugende Tiefe. Liebe, sei sie nun lesbisch oder nicht, besitzt Ecken und Kanten und schwebt nur selten luftig-leicht und mit Happy Ending zum Fenster hinaus. Gut kuratiert folgte „Fiasco„, temporeich und kreativ umgesetzt. Die Thematik: Ein konservativer, arabischer Vater trifft auf den Mitbewohner seiner Tochter, einen schwulen US-Amerikaner. Doppeltes und kondensiertes Feindbild. Regisseurin Nadia Hamzeh kontrastiert den ernsten Hintergrund ihrer Figuren mit grell-bunter Inszenierung. Intelligent und doch kurzweilig. „Mobile„, ein weiterer Animationsfilm, beendete den zweiten Block. Eine fette Kuh versucht verzweifelt aus ihrer Einsamkeit auszubrechen. Während sie allein auf einer Seite des Mobiles hängt, tummeln sich drüben zig andere Tiere. Verena Fels‚ Kurzfilm ist leichtfüßig wie witzig erzählt und verhandelt nicht zuletzt ein Urthema – das Alleinsein.

Block drei. „Schmitz als die Wahrheit“ von Marco Rentrop hätte in der Zuschauerwertung ganz vorne liegen sollen. Ging letztendlich aber leer aus. Matthias Schmitz, junger Familienvater und erfolgreich im Job, kann die Verlogenheit seiner Kollegen, insbesondere seines Chefs, nicht mehr ertragen und rebelliert, indem er sich Anweisungen widersetzt und kündigt. Seinem kleinen Sohn erklärte er abends zuvor, dass Tiere nicht lügen können – und tritt folgerichtig nach seiner Kündigung eine Beschäftigung als Tierpfleger an. Eine runde Sache. Rentrop versteht es mit einfachen Mitteln seine Botschaft auf eindringliche, nicht zu
pädagogische Art und Weise zu transportieren. „Quan“ von Karzan Kader und „Frère Benoît“ von Michel Dufourd plätschern so vor sich hin.

Filmszene: "Rummel"

Der letzte Film des Abends rüttelt nochmal auf: „Rummel„, inszeniert von Florian Teske. Eine junge Frau motzt herrlich erfrischend ihren Freund an und scheitert an seinem stoischen Wesen. Florian Teske konnte sich letzten Endes über den zweiten Platz im Wettbewerb freuen. Nach Auszählung aller Stimmzettel belegte „Quan“ überraschend den dritten Platz. Er erzählt die Geschichte eines Jungen, der gegen seinen Willen vom Vater zum Arbeitseinsatz gezwungen wird, berührend aber auch ziemlich berechnend. Publikumsentscheide wiegen hin und wieder schwer. Fisch ist da leichter verdaulich. Auch wenn er nicht schmeckt.

Jana Marie Schwarz