Berlinale-Blog: Teddy Awards (10)


"The Ballad of Genesis and Lady Jaye"

"The Ballad of Genesis and Lady Jaye"

Ein Vierteljahrhundert güldener Daseinsfreude

Es wird gefeiert – seit nunmehr 25 Jahren vergibt die Berlinale den „kleinen Bären“ für den schwul-lesbischen Film. Und, ganz standesgemäß, findet sich die bunte Gesellschaft an jenem Freitag im Februar im bedeutungsschwangeren Flughafen Tempelhof ein, um zwischen alten Nazi-Bauten und violetten Laserstrahlern den Triumph queerer Filmkunst zu begießen. Wahrlich ein Fest mit wahrlich vielen High Heels in Alpenhöhe und Schuhgröße 45. Grund zu feiern gibt es allemal: Nicht nur der Blick in die Historie des Teddy Awards (vergangene Preisträger sind unter anderem Pedro Almodóvar, Gus van Sant, François Ozon oder Lisa Cholodenkos „The Kids Are All Right„, derzeit nominiert für einen Academy Award) lässt hoffen, sondern auch die diesjährigen Preisträger. Allen voran das im Forum gezeigte Werk „Ausente“  des Argentiniers Marco Berger:  Ausgezeichnet als bester Spielfilm, porträtiert der junge Regisseur die Geschichte eines Burschen, der sich nicht nur in seinen Sportlehrer Sebastian  verliebt – er geht einen Schritt weiter und kanalisiert seine Gefühle nicht in Gestalt von nie abgeschickten Liebesbriefchen, sondern verführt.

Eine ungewöhnliche Perspektive, die sich in anderem Kontext, aber ähnlich origineller Form, im ebenfalls prämierten Dokumentarfilm „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ von Marie Losier erkennen lässt. Ein leichtes wäre es gewesen, das wundersame Wesen Genesis Breyer P-Orridge (ehemals Neil Andrew Megson) anhand ihrer/seiner musikalischen Bedeutung für das Genre Industrial Music und Wirken in den Formationen Throbbing Gristles, Psychic TV und TOPY zu illustrieren. Die zierliche Französin Losier hat sich jedoch für eine Liebesgeschichte entschieden. Nämlich eine, in der P-Orridge und die um Jahre jüngere Performance-Künstlerin Lady Jaye mithilfe plastischer Chirurgie zu einem Individuum verschmelzen. „Femme Fatale“, Titelsong des Films,  der  Velvet-Underground-Muse Nico schmiegt sich dabei sanft über das koitierende Glück und bricht nicht nur Genesis‘ Herz im letzten Fünftel des Films, sondern auch das jenes Zuschauers, welcher sich in den vergangenen Tagen (zu Recht!) schluchzend in Berliner Kinosälen wiederfand.

Filmszene: "Maya Deren’s Sink"

Filmszene: "Maya Deren’s Sink"

Der Preis für den besten Kurzfilm ging 2011 an zwei Filme: „Generations“ von der 70-jährigen Barbara Hammer und Gina Carducci, als auch an „Maya Deren’s Sink“ – ebenfalls von Madame Hammer. Während in „Generations“ beide die letzten Tage des Vergnügungsparks Astroland auf Coney Island (NY) und die unausweichliche Tatsache des Alterns entdecken, beschäftigt sich „Maya Deren’s Sink“ mit einem vollkommen anderen Sujet. Es handelt sich um eine Hommage an die Mutter des amerikanischen Avantgardefilms. Der Film beschwört durch Gespräche mit Weggefährten und Zeitgenossen den Geist einer überlebensgroßen Person, schwebt durch Derens Wohnorte und erinnert an kleinste Details der architektonischen und persönlichen Innenräume. Mit dem Jury-Preis haben die Juroren den französischen Film „Tomboy“ von Céline Sciamma geehrt: Das etwas zu frühe Coming-of-Age-Drama eines burschikosen Mädchens, welches auf wundersame Art die Transformation eines ohnehin vorangegangenen Missverständnisses bis zur Eskalation vollzieht.

Dennoch verlaufen sich auf dem mehr als weitläufigen Areal des Flughafengebäudes nicht nur die Gäste (abgesehen von der Terrasse mit fulminanten Blick auf die Freifläche, die als Raucherparadies fungiert) – auch die mehr als 40 zu sehenden Werke queeren Filmschaffens drohen aufgrund der schieren Masse unterzugehen. Filmen wie „Romeos“ oder „Hvordan har du det?“ wünscht man eine ähnlich große Aufmerksamkeit wie den preisgekrönten. Ersterer jedoch konnte vor wenigen Tagen bereits eine optimistische Aussicht gen Zukunft und erfolgreiche Verhandlungen mit dem US-amerikanischen Markt verkünden. Ein bisschen Pathos und ein wenig zu viel Alkohol spricht gewiss aus diesen Zeilen, aber bestimmt kein Gram. Das Programm des kleinen Bären 2011, es war ein gelungenes.

Carolin Weidner