Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im März 2011 Teil 2


Im zweiten Teil von Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch geht es um den Einfluss von Filmkritik, erfolgreiche Filmreihen sowie das Scheitern auf Leinwänden und auf Pressekonferenzen.

Jörg Buttgereit und Birger Schmidt

Jörg Buttgereit und Birger Schmidt

Roehler war für mich nicht mal Nazi-Trash.

Birger Schmidt: Fußballspieler sind immer ganz aufgeregt, welche Note am Montag im Kicker steht. Da wird unter Kollegen viel diskutiert. Wie gehst du mit deiner Macht um? Wie schwer ist es für dich, den einen Punkt zwischen annehmbar und empfehlenswert zu vergeben?
Jörg Buttgereit: Ich sehe mich immer nur nebenbei als Filmkritiker. Da ich selbst Filme gemacht habe, wurden die auch besprochen. Es gab auch Leute, die ich kannte, die einen Film von mir verrissen haben. Als Filmemacher war ich über Kritik immer empört. Vielleicht wollte ich so zurückschlagen. Einige schlechte Kritiken waren für mich im Nachhinein gut, auch wenn sie mich erst getroffen haben. Ich hatte neulich einen Fall, dass mich ein Filmemacher angesprochen und sich beschwert hat.
Schmidt: War es Til Schweiger?
Buttgereit: Den habe ich auch mal nach einer Kritik zu einem Film, bei dem er mitgespielt hat, getroffen. Ich weiß nicht, ob er mich erkannt hat, aber er hat mich böse angeschaut. Nach dem robotoiden „Phantomschmerz„, er spielt einen einbeinigen, allein erziehenden Radfahrer, der in Kreuzberg lebt. Ich habe nur den Kopf geschüttelt. Als großer Trashfan bin unerschrocken, aber der Film war ernst gemeint.
Jörg Frieß: Wie gehst du produktiv mit Kritik um? Welche Kritik bringt dich voran?
Buttgereit: Wenn eine Kritik Schwächen aufdeckt, ist das für den Film zu spät, aber vielleicht für den nächsten eine Hilfe. Wobei man, wenn der Film neu ist, viel zu eingeschnappt ist. Besagter Kollege, der sich beschwerte, meinte, dass meine Kritik während der Berlinale zu lapidar war und sie so dem Film wirklich geschadet hat, weil das Blatt, in dem ich sie geschrieben habe, so renommiert ist.
Frieß: Und an der Kinokasse?
Buttgereit: Ich würde behaupten, dass er an der Kinokasse gar nicht stattgefunden hat. Er meinte, weil dass das zu viele Leute lesen würden. Wobei der Einfluss der Kritik nachlässt. Bedeutete früher ein Tagestipp ausverkaufte Säle, kommen heute nur noch drei Leute mehr.

Buttgereit an Alice Dwyer: Liest du deine Kritiken bevor oder nachdem der Film rauskommt?

Alice Dwyer: Ich lese sie, es sei denn mit wird gesagt, ich soll sie lieber nicht lesen.
Buttgereit: Das würde mich dann noch mehr interessieren.
Dwyer: Man muss das trennen. Ich spiele nur mit und bin nicht für den Film verantwortlich. Wenn ich den Film gesehen habe, kann ich nachvollziehen, warum manche Menschen einen Film nicht gut finden, aber auch, warum sie ihn lieben. Ich drehe meistens Filme, die sehr spalten. Die wenigsten sagen mir ihre Meinung über meine Arbeit ehrlich ins Gesicht.
Schmidt: Mich interessiert aus akademischer Sicht: Schaust du nur auf deine Leistung oder ist dir auch die Beurteilung der Kleingruppenarbeit wichtig? Kannst du das trennen?
Dwyer: Ich ärgere mich immer, wenn ich schlecht wegkomme. Aber auch, wenn der Film schlecht wegkommt, weil da viel Arbeit drinsteckt. Kommt ein Kollege gut weg, dessen Leistung ich gut fand, freue ich mich für ihn, fand ich seine Leistung nicht gut, ärgere ich mich vielleicht auch. Ich denke das ist menschlich.
Buttgereit: Aber in gewisser Weise ist es unfair, wenn Menschen über einen Film urteilen, ohne zu wissen, welche Arbeit dahinter steckt.
Dwyer: Ich denke die Leute sollen über das fertige Produkt urteilen und nicht darüber, wie der Film entstand und was hinter den Kulissen passiert ist.
Frieß: Wer geht schon ins Kino und denkt sich: Die haben unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, da müssen wir ein Auge zudrücken.
Buttgereit: Aber einige Filme leben davon. Jeder Werner Herzog-Film lebt vom Mythos, dass er beinahe dabei umgekommen wäre…
Frieß: Aber bei ihm entstehen nach wie vor sehr spannende Filme. Wann siehst du deine Filme zum ersten Mal?
Dwyer: Manchmal bei einer Teampremiere. Meistens aber bei der Premiere.
Schmidt: Auf welche Kritiker hörst du?
Dwyer: Eigentlich nur auf Freunde und Familie.
Schmidt: Hast du Premieren erlebt, wo wie beim Theater das Ensemble gefeiert wurde, aber z.B. der Regisseur ausgepfiffen wurde?
Dwyer: Ich habe eine Premiere erlebt, bei der sich der Regisseur weigerte sein Ensemble auf die Bühne zu holen. Das war ein Event.
Buttgereit: Beim Theater ist der Respekt vor diesem Kraftakt vor einem größer.
Schmidt: Ich erinnere mich an eine Premiere, für die der Begriff des Fremdschämens erfunden wurde. Ein Film mit Emmanuelle Beart, die eigens aus Paris eingeflogen wurde, und anschließend durch die Seitentür verschwand. Ohne Applaus.
Dwyer: Bei der Premiere in der ich war entstand eine so extreme Eigendynamik, in der das Publikum loslachte, laut wurde und viele aus dem Saal gingen, aber genau das machte die Premiere zum Event.
Buttgereit: Ähnlich war das bei der 60. Berlinale bei der Pressekonferenz von Oskar Roehler zu „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ oder Jahre zuvor bei Karmakars PK (Anm.: zu „Die Nacht singt ihre Lieder„), als der anfing die Presse zu beschimpfen. Roehler war für mich nicht mal Nazi-Trash. Er wollte einfach provozieren.
BFF: Wobei dem Skandal bei Roehler schon fast Intention zu unterstellen ist, da er sich damals schon sehr pressetauglich in einem großen FAZ-Interview mit Schanelec und Heisenberg als Vertreter der Berliner Schule angelegt hatte und so den Docht zur Bombe schon vorher anzündete…
Buttgereit: Was wirklich dumm ist: Bei der Berlinale entsteht die Kritikermeinung auf dem kurzen Weg vom Berlinale Palast zur PK gegenüber. Dieser Weg ist ausschlaggebend für das, was danach passiert. Roehler hat das offensichtlich unterschätzt.
Schmidt: Meine erste Berlinale war damals, als „Stammheim“ (von Reinhard Hauff/ 1986) gewonnen hat und sich Gina Lollobrigida als Jury-Präsidentin dagegen gestemmt hat. Das war ein Skandal.
Buttgereit: Bei Roehler fanden alle den Film schlecht, und er hat versucht dem mit Arroganz zu begegnen. Da fragte ich mich, worin für ihn der Sinn bestand? Eigentlich war er von der Berlinale verwöhnt. In dem Moment war er einfach fertig.
Frieß: Wäre es geschickter für ihn bei Kritik verständnisvoll zu nicken?
Buttgereit: Wie die Amis das machen. Nicken, aber mit einem „ja, aber“ die Frage beantworten. Die Berlinale hat Roehler einen Bärendienst erwiesen, indem sie ihn mit dem falschen Film eingeladen haben.
Schmidt: Wie war das bei „Separation„, dem iranischen Gewinnerfilm? Waren sich da die Journalisten einig?
Buttgereit: Ich habe noch nie einen Gewinnerfilm gesehen. Vermutlich weil ich immer eher die abseitigeren schaue. Ich kann es nicht sagen.
BFF: Nun haben wir zuerst festgestellt, dass die Kritik keine Rolle mehr spielt, aber nun kann sie offenbar doch auch Filme zerstören…
Buttgereit: Bei der Berlinale, auf Festivals, schon. Wenn die geballte internationale Presse da ist. Eine Kritik zum Berlinale-Programm wird gelesen. Bei der Berlinale geht es um die Elite.

Frieß: Als Kinogänger bin ich total anfällig für Kritiken.

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