Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im März 2011


Fernsehen: Am Ende kommt ein anderes Projekt heraus

Jörg Buttgereit und Birger Schmidt

Jörg Buttgereit und Birger Schmidt

Buttgereit: Das Irre an den Bildern, die wir gerade im Fernsehen verfolgen müssen, ist, dass wir die Parallele zum Film suchen, weil niemand damit Erfahrungen hat. Da ist diese mediale Spiegelung sofort da. Eigentlich arbeiten Filme solche Ereignisse auf, doch heute hat man sofort filmische Referenzen.
Dwyer: Man kennt das nirgendwo anders her.
Buttgereit: Ein Glück nicht, aber das ist trotzdem komisch.

Berliner Filmfestivals (BFF): Roland Emmerich hat eben jede Katastrophe schon verfilmt oder vorweggenommen. Haben die Ereignisse in Japan Auswirkungen auf Katastrophenfilme?

Buttgereit: Amerika hat die Ereignisse totgeschwiegen, weil Film Unterhaltung sein soll. Aus Sam Raimis ersten „Spiderman“ wurde eine World Trade Center-Szene herausgeschnitten. In Japan sind die derzeitigen Ereignisse kein Tabu. Dort wird schneller darauf reagiert werden. Zum Beispiel mit einem Comic.

BFF: Fast jeder Film in Deutschland wird mit Geld der Fernsehanstalten produziert. Aber das Verhältnis der Unmengen an Filmen, die in Deutschland dank des Fernsehens produziert werden, steht in keinem Verhältnis zu den wenigen attraktiven Sendeplätzen, auf denen die letztendlich gezeigt werden dürfen.

Dwyer: Ich empfinde es eher so, dass künstlerische Freiheit oft fehlt, sobald ein Fernsehsender drin ist. Die Sender haben mit ihren Redakteuren die Hand über fast allem. Das ist schon gruselig.
Buttgereit: Es war im Fernsehen noch nie so, dass man einen Film drehen konnte und der am Ende so lange ist, wie er eben wird. Bei meinen Dokumentarfilmen fürs Fernsehen stand die Länge immer fest. Bei meiner Doku „Die Monsterinsel“ (WDR, 2002) war eine halbe Stunde geplant, doch das Material war so gut, dass ich nach einer Unmenge von Anträgen und Bewilligungen am Ende auf 45 Minuten verlängern durfte. Das war aber nur möglich, weil es auch ein Dokumentarfilmformat von einer dreiviertel Stunde gab. Abgesehen von Dokumentationen würde ich nie auf die Idee kommen, einen Film fürs Fernsehen machen zu wollen.
Dwyer: Schwierig ist, wenn du einem Film wegen eines tollen Drehbuches zusagst, aber das Drehbuchende vom Sender verändert wird, während du drehst. Am Ende kommt ein anderes Projekt heraus, als das ursprünglich zugesagte.
Buttgereit: Die Schauspielverträge sehen vor, dass das gedrehte Material verändert und bearbeitet werden kann.
Dwyer: Das passiert nicht so oft, ist aber erstaunlich, wenn es passiert.
Schmidt: Und wie reagieren die Regisseure?
Dwyer: Die regen sich auf, aber das interessiert auch niemanden besonders.
Buttgereit: Dem Sender gehört das Produkt. In Deutschland herrscht eine romantische Vorstellung von Regisseuren, doch eigentlich sind sie Bilderlieferanten für Produzenten.

Mesa: Gebackener Ziegenkäse im Kräutermantel mit Preiselbeeren

Mesa: Gebackener Ziegenkäse im Kräutermantel mit Preiselbeeren

Die Kellnerin erklärt das Mesa-Konzept mit deutschen Spezialitäten, die ähnlich den spanischen Tapas („Kleinigkeiten“) serviert werden. Die Gäste sollen aus 17 Gerichten drei oder wahlweise vier Tellergerichte wählen. Jörg Buttgereit wirkt ein wenig irritiert, ob der Bezeichnung Tapas, mit der die freundliche Dame die einheimischen Leckereien umschreibt und wundert sich, ob das nicht viel zu viel sei. Schmidt rät ihm zu vier Desserts, doch bei Betrachten der Nebentische tendiert Buttgereit eher zu Currywurst, Schnitzel und Gulasch. Um Wartezeit zu vermeiden, entscheidet er sich doch für den gebackenen Ziegenkäse im Kräutermantel mit Preiselbeeren – wie alle am Tisch. Nach einer aufwendigen Bestellung kehren wir zum Autorenkino zurück und bleiben doch beim Essen…

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