„Chaplin Complete“: Interview mit Geraldine Chaplin


Geliebte Nofretete

Ab 15. Juli präsentiert das Kino Babylon die Charlie Chaplin RetrospektiveChaplin Complete„, die erstmals all seine 80 Filme umfasst. Wenige Tage vor Beginn dieses historischen Kino-Ereignisses trafen wir seine Tochter, Schauspielerin, Geraldine Chaplin zum Gespräch über das beispiellose Schaffen ihres Vaters, der nichts weniger, als ihr „Held war“, wie sie mit strahlenden Augen im Interview erklärte.

Miss Chaplin, Ihr Vater Charlie Chaplin ist immer noch ungemein populär. Im Berliner Kino Babylon sind ab 15. Juli erstmals all seine 80 Filme zu einer kompletten Retrospektive zusammengefasst. Was bedeutet Ihnen das?
Geraldine Chaplin: Mich wundert das nicht. Sein Schaffen ist zeitlos! Wirklich besonders ist für mich diese Ausstellung ihm zu Ehren und vor allem, dass alle seine 80 Filme in nur 24 Tagen zu sehen sind. Zum ersten Mal gibt es die Gelegenheit, all das, was der kleine „Tramp“ über Jahrzehnte erlebt hat, mit ihm in seinen Filmen zu erleben. Zu sehen, wie unglaublich gut er war. 1918 drehte er „Shoulder Arms“ („Gewehr über„) über den 1. Weltkrieg. Ein fantastischer, wenig politisch korrekter Film. Mit „Modern Times“ („Moderne Zeiten„/1936) schuf er den Film zur Großen Depression. „The Great Dictator“ („Der große Diktator„/1940) – wer sonst hätte sich an so einen Film in dieser Zeit gewagt? Wir reisen gemeinsam mit diesem kleinen Kerl durch die Geschichte.

Sie sagen zeitlos. Wo begegnet er Ihnen?
Chaplin: Ich komme gerade vom Filmfestival in Moskau. Dort habe ich im Fernsehen zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder mal „Monsieur Verdoux“ („Der Frauenmörder von Paris„/1947) gesehen. Der Film handelt von einem Banker, einem kleinen Kassierer, dem nach 30 Jahren braven Dienstes gekündigt wird, weil die Bank in einer Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten gerät. Er hat eine Frau und ein Kind, aber er hat keine Zukunft. Klingelt es da nicht bei einem? Der Film könnte von heute sein. Im Film löst Verdoux seine Probleme, indem er ältere Witwen heiratet und anschließend tötet. Vor der Guillotine erklärt er schließlich: Mein Problem war, dass ich nur ein Amateur bin. Mord ist für ihn die einzig logische Folge vom rücksichtslosen Business. Wie könnte ein Film aktueller sein? So geht es mir mit vielen seiner Filme. Seine Filme sind alle zeitlos.

Kennen Sie tatsächlich all seine Werke? Hat einer der Filme für Sie eine besondere Bedeutung?
Chaplin: Ich habe sie alle gesehen! Besonders sind viele. Vielleicht „The Kid“ („Der Vagabund und das Kind„/1921) oder „The Circus“ („Der Zirkus„/1928). Es fällt mir schwer einen hervorzuheben. Für mich sind alle absolute Meisterwerke.

Er war der berühmteste Mann der ganzen Welt.

Wie war Charlie Chaplin als Vater?
Chaplin: Er war ein toller Vater. Ich durfte ihn allerdings erst kennen lernen, als er schon recht alt (Anm.: 55 Jahre) war. Er war mein Held, der kleine „Tramp„. Da wir seine Filme gemeinsam schauten, war er immer da und es hatte nichts mit den Charakteren aus seinen Filmen zu tun. Er sprach von den Figuren auch immer in der dritten Person. Er war ein echtes Arbeitstier zu Hause. Wir wussten, dass er der berühmteste Mann der ganzen Welt war, der am meisten verstandene und beliebteste Mensch der Erde. Wir waren alle sehr stolz auf ihn. Auch als Vater mochte er sein Publikum, vielleicht hat er deshalb auch so viele Kinder.

Waren Sie immer stolz oder fürchteten Sie sich auch manchmal vor seiner Popularität?
Chaplin: Nein, nie. Mein Vater war alles andere als der größte, stärkste und am besten aussehende Mann, aber er war schlicht und ergreifend der großartigste Mensch auf der Welt. Genau wie meine Mutter die hübscheste Frau der Welt war. Der „Tramp“ ist mein Held! Ich wollte nie jemand anderen als ihn zum Vater.

Auch Eugene O’Neill, Ihr Großvater mütterlicherseits, war ein sehr bekannter Mann. Wie war deren Verhältnis?
Chaplin: Ich selbst habe ihn nie getroffen. Als meine Mutter Charlie heiratete, kam es zum Zerwürfnis. Mein Großvater wollte nichts mit diesem Typen, der mit seiner 17-jährigen Tochter zusammen war und diese mit 18 heiratete, zu tun haben. Er verbannte sie aus seinem Leben. Meine Mutter wuchs allerdings auch ohne ihn auf, da sich meine Großeltern schon früh scheiden ließen.

Ihr Vater war sehr politisch. Wurde in Ihrem Elternhaus über Politik diskutiert?
Chaplin: Diskussionen gab es keine, es waren eher Schulstunden. Wir hätten uns ihm nie widersetzt. Ich habe erst sehr spät erfahren, dass er aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen wurde, weil er dort als Kommunist galt. Als ich das als Schulkind hörte, fand ich das ziemlich cool. Zuhause sprach ich ihn darauf an und er setzte sofort an, dass er natürlich kein Kommunist sei, weil er gegen diesen Konformismus sei. Er war politisch. Ich erinnere mich gut, als ich ihn nach Spanien einlud, wo ich lebte und arbeitete, sagte er, er könne nicht kommen, weil dort Franco herrsche und sein Besuch bedeuten würde, dass er ihn respektieren würde. Er sagte, er hoffe dass Franco vor ihm sterben würde und er mich dort besuchen könnte. Tat er tatsächlich, aber es war leider zu spät für ihn.

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