3. Asian Film Festival im Haus der Kulturen der Welt

Dysfunktionale Familienverhältnisse


"In the Matter of Cha Jung Hee"

"In the Matter of Cha Jung Hee"

Gute Geschichten, ob nun auf dem Papier oder auf Zelluloid, beginnen mit einem gewissen Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht wird im Laufe der Geschichte gelöst, wenn nicht sogar zerstört, um es schließlich gegen Ende wieder zusammenzufügen. Nicht wenige Horrorfilme der 1980er spielen so beispielsweise auf das dysfunktionale Familienverhältnis in westlichen Gesellschaften an. Die Dysfunktionalität wird durch Figuren wie Freddy Kruger oder Michael Myers symbolisiert und sie erlauben es letztlich erst, dass die soziale Unordnung in ein soziales Gleichgewicht verwandelt wird. Selbstredend ist die Frage, was heutzutage eine Familie ausmacht, ungleich komplizierter und im realen Leben werden wir uns wohl alle nur mit einem mittelmäßigen Ende zufrieden geben müssen. Das Asian Film Festival geht vom 26. bis 30. Oktober genau dieser Frage in sehenswerten Filmen nach.

So kommt es im Essayfilm „In the Matter of Cha Jung Hee“ der Regisseurin Deaann Borshay Liem nicht nur zu einer klassischen sondern zu einer doppelten Identitätssuche. Der Reisepass weist die Protagonistin als Cha Jung Hee aus. Diese Lüge hält sie 40 Jahre aufrecht, um schließlich nach der wahren Cha Jung Hee zu suchen und damit auch der eigenen Geschichte nachzugehen. Es werden Stadien der Erinnerung, der Identität und der Amnesie Schicht für Schicht durchlaufen, um sowohl die Absurditäten des internationalen Adoptionsrechts aufzuzeigen, als auch einem Wort nachzugehen, das viel zu oft in viel zu schlechten Filmen und Songs seine Verwendung findet – Schicksal. Ein sehenswerter Streifen.

Ann Hui skizziert mit „All about Love“ dagegen das komplizierte homoerotische Verhältnis chinesischer Frauen in der heutigen Zeit, dass seit der Bewegung des Vierten Mai im Jahre 1919 zwischen der Suche nach einer nationalen Identität und importierten, westlichen Ideen hin- und herwankt. Zwar gab es Versuche ein egalitäres Geschlechterverhältnis, wie etwa in der protokommunistischen Taiping Rebellion, ohne westlichen Einfluss zu etablieren, doch wurden westliche Vorurteile nur all zu gerne übernommen. Nach der Feministin Wang Zheng brachte die Bewegung des Vierten Mai zwei unterschiedliche Vorstellungen eines liberalen Humanismus hervor. Die erste Vorstellung setzt Frauen mit Männern gleich und akzeptiert homoerotische Beziehungen gleichberechtigt neben heterosexuellen Beziehungen. Die zweite und überwiegende Vorstellung sieht im Humanismus den gebildeten, engagierten Mann kulturell westlicher Prägung, der als Role Model für die männlichen, chinesischen Revolutionäre dient. Die Rolle der Frau bleibt dabei eine Traditionelle. Homosexualität wird als Zeichen von Dekadenz betrachtet. Nun treffen sich in „All About Love“ die beiden in einer Mid-Life-Crisis steckenden Protagonistinnen in einer gynäkologischen Arztpraxis und müssen eine Entscheidung treffen. Das klingt wie der Aufhänger eines kurzweiligen Chic Flick, ist aber doch mehr.

Für Erich Fromm war die Familie „das Medium, durch das die Gesellschaft ihre entsprechende Struktur dem Kind und damit dem Erwachsenen aufprägt.“ Unsere westlichen Strukturen, wozu auch teilweise der asiatische Raum gezählt werden kann, sind kompliziert, verworren, manchmal hirnverbrannt und teilweise nicht mehr existent. So schwierig das im realen Leben ist, so wunderbar gestaltet sich beim Asian Film Festival die Auswahl der Filme.

Joris J.

Asian Film Festival, 26. bis 30 Oktober, www.asianwomensfilm.de