Der kiezkieken-Blog

Dit war schau!


kiezkieken in der Wabe, Foto: Andrés Castoldi

kiezkieken in der Wabe, Foto: Andrés Castoldi

Drei Bezirke im Blick (Wedding, Marzahn, Prenzlauer Berg) und eine Abschlussveranstaltung: An vier Wochenenden im November reist das Kurzfilmfestival kiezkieken durch die Stadt. Es werden aber nicht nur Filme präsentiert, es gibt geführte Kiez-Touren, Konzerte und zahlreiche Gespräche mit den Filmemachern. Nicht jeder Filmbegeisterte kann sich allerdings vier Wochenenden mal ebenso freinehmen. Damit man als Interessierter dennoch nichts verpasst, besuchen wir jeden einzelnen Kieztermin und geben einen persönlichen Einblick in das, was dort eben passiert. Diesmal ging es zurück in den Prenzlauer Berg – zum Abschluss des Festivals in der Wabe.

Dit war schau!

Letzter Festivaltag. Aufatmen. Noch drei Gewinner sind zu ermitteln. Franziska Becher steht etwas verloren in der noch hell erleuchteten Wabe. Fast beiläufig  schaut sie auf das Treiben im Saal. Die Wabe ist kurz vor Beginn des Festivals sehr gut gefüllt. Ein kleines Seufzen. „Fast geschafft„, sagt sie. Vier anstrengende Wochen liegen hinter ihr und den beiden anderen Festivalorganisatorinnen Eva Schmidhuber und Manuela Georgiew. Und noch mehr Monate der peniblen Vorbereitung. Dennoch wirkt sie zufrieden. Jedes der drei vergangenen Wochenenden im November war ein voller Erfolg. Genügend Einsendungen und spannende Filme, reichlich Publikum, aufgeregte Gäste. Und nicht zuletzt: Der straffe Zeitplan hat funktioniert. Jeder Festivalleiter ist froh, wenn der Spielplan in nur einem Kino gut über die Bühne geht. Hier waren es gleich vier. Die zweite Ausgabe des kiezkieken-Kurzfilmfestivals war ein Erfolg. Nun also die letzten neun Filme an diesem recht milden, letzten Sonntag im November: Komisches („KK Kiezklischees„), Tragisches („Die Schule an der Weide„), Albernes („Rund um den Butzer See„), und Ungewöhnliches („Jacki„) ist dabei.

(v.l.n.r.) Eva Schmidhuber, Michael Terhorst, Manuela Georgiew, Sven Mücke, Franziska Becher, Rolf Diessner

(v.l.n.r.) Eva Schmidhuber, Michael Terhorst, Manuela Georgiew, Sven Mücke, Franziska Becher, Rolf Diessner, Foto: Andrés Castoldi

Und letztlich, nachdem alle Filme an diesem Abend gezeigt sind, geht es auch gar nicht mehr darum, wer hier als Gewinner den Saal verlässt. Dafür sind die Filme einfach zu unterschiedlich. Der Anspruch der Filmemacher und die Qualität des Gezeigten sind nicht vergleichbar. „Rund um den Butzer See“ von Rolf Diessner etwa, der den dritten Platz belegt, ist im Grunde kein Film. Es ist eine kleine, private Aufnahme eines Rentners, der sich mit seiner noch analogen Kamera zu seinem Lieblingssee aufgemacht hat und in quasi-dokumentarischem Stil davon erzählt, was ihn an diesem Gewässer fasziniert. Herausgekommen ist ein etwas unbehaglicher Werbeclip ganz ohne Schnitte, (Diessner macht seine Kamera schlicht an und aus) der immer amateurhaft ist – und dazu ungewollt komisch. Ein Close-Up auf die Stelle, an der sich im Sommer die „Nudisten“ versammeln – die jetzt nicht da sind, weil der Film im Herbst entstand. Eine Nahaufnahme von der Weide, unter der sich die Jugendlichen (des Öfteren „Russen„, wie er erklärt) und Kinder treffen, oft grölen und dem Rentner damit seine Entspannung vermiesen. Sie alle sind ebenfalls nicht da. Vor Ort ist Diessner, der Butzer See, die Kamera und immer wieder ein Haubentaucher, dem der Rentner eine innige Beziehung zu sich nahe legt. Das Publikum lacht viel bei diesem Beitrag, gerade weil alles an ihm ungelenk ist, das Erzählte in einem emotionslosen Stakkato vorgetragen wird. Und das ist auch der Grund, warum er es bis in die letzte Runde des Festivals geschafft hat. Er unterhält, wenn auch ungewollt. Rolf Diessner ist – auch auf der Bühne, als er seinen Beitrag im Gespräch dem Publikum vorstellt, durchaus sympathisch und witzig. In einer aus grünem, groben Stoff gewebten Baggy-Hose mit großen Taschen wirkt er ein wenig militant. Aber nicht unangenehm. Und als er erzählt, dass man „romantische Stunden am See“ im Grunde vergessen kann, weil dort zu viele Jugendliche Saufgelage feiern, gibt er letztlich auch einen amüsanten Einblick in die Person, die hinter der Kamera steht. Da hat ein manierierter älterer Herr ein Filmchen darüber gedreht, was ihn so nervt an seinem See-Alltag. Nicht böswillig, aber doch so präzise launisch, dass man sich gut vorstellen kann, wie er die 16-jährigen Kids, die sich an ihrem ersten Bierchen erfreuen, mit kräftiger Berliner Schnauze anblafft. Es gibt schließlich auch Menschen, die am Butzer See gefälligst in Ruhe baden wollen.

Musikact beim Festival - The Great White Shark, Foto: Andrés Castoldi

Musikact beim Festival - The Great White Shark, Foto: Andrés Castoldi

Ganz anders der Zweitplatzierte des Festivals, „Unsere Torfstraße„. Regisseur Sven Mücke hat über drei Jahre hinweg die Menschen seines Hauses zur Wohnsituation im Wedding, zu Problemen mit den Anwohnern und allerlei Alltäglichem befragt. Dabei herausgekommen ist ein eindrücklicher, witziger und vor allem warmherziger Film über eine Hausgemeinschaft, die aus sehr unterschiedlichen Charakteren besteht, die aber eines verbindet: Die Freude darüber, dass man nicht in irgendeinem anonymen Wohnblock haust. Mit „Plötzensee“ von Michael Terhorst steht letztlich ein Sieger fest, der in allem sehr gut funktioniert. Schnitt, Kameraführung, Erzählform und letztlich das Porträt eines Ehepaars, das ein kleines Café mit angeschlossenem Bootsverleih am Plötzensee sein Eigen nennt, stimmen. Aber es hätte auch „Anton“ sein können, ein kurzweiliges Porträt eines Fahrradbastler, der sich im Grenzbereich zwischen Mitte und Wedding (gegenüber der gerade entstehenden Zentrale des Bundesnachrichtendienstes) sein eigenes Reich geschaffen hat und dort alte Drahtesel recycelt. Und ebenso die Kurzdokumentation „Jacki„, ein Porträt einer Jugend im Prenzlauer Berg der 70er Jahre. Die Regisseurin Angelika Andrees und ihre Protagonistin Jaqueline haben sich dank kiezkieken nach über 30 Jahren wiedergefunden. Das ist vielleicht mehr Wert, als ein Platz auf dem Siegertreppchen. Nun muss am Ende eines ausgerufenen Wettbewerbs auch ein Sieger erwählt werden: Dit is och in Berlin so Usus. Und so falsch lag das Publikum mit „Plötzensee“ am Ende nicht.

Martin Daßinnies

Randnotiz: Genau beobachtet werden sollte die Weiterentwicklung von Rentner Rolf Diessner. Als Drittplatzierter hat er einen Gutschein in Höhe von 250 Euro, gestiftet von einem Berliner Filmtechnikverleih, gewonnen. Ironie des Schicksals?

Zweite Randnotiz: Der Autor hat folgende Filme fürs Treppchen vorgeschlagen: „Jacki„, „Plötzensee„, „Die Schule an der Weide„.

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