Festivalbericht: British Shorts 2012

Festivalbericht 2012: Kurzweilig – kurzatmig - Kurzfilm


Workshop-Screening in der Sputnik Kinobar, Foto: British Shorts

Workshop-Screening in der Sputnik Kinobar, Foto: British Shorts

Menschen, Motten und Manien

Mit einem meist nur zu einem Drittel besetzten Kinosaal, darunter aber erfreulicherweise des Öfteren auch die Schöpfer der einzelnen Beiträge, fokussierten die meisten Dokumentarfilmbeiträge eher auf die kleinen, oft aber außergewöhnlichen Geschichten ihrer Protagonisten. Das Spektrum reichte hierbei von einem ehemaligen Olympia-Turner („Walk Tall„, Kate Sullivan), der auch im hohen Alter von 85 immer noch genauso sportversessen ist und in seiner vielen Freizeit gern X-Box spielenden Kindern und putzenden Hausfrauen zu einer aufrechten Haltung verhilft, bis hin zur Porträts von Menschen, die sich im Rentenalter für eine Geschlechtsumwandlung entschieden haben („This Life That Chose Me„, Chloe White). Dass eine der transsexuellen Akteurinnen scheinbar leidenschaftlich gern aufgepinnte Schmetterlinge sammelt, erinnern einen zwar irgendwie ungewollt an das  metamorphotische Mottenmotiv in „The Silence of Lambs„, doch auch davon ab scheinen sich Insekten im Dokumentarfilmgenre großer Beliebtheit zu erfreuen. So tritt in „Bee Fever“ (Rebecca E. Marshall) eine Frau in Erscheinung, die nach erfolgreichem Kampf gegen den Krebs sich nun vorzugsweise in eine heruntergekommene Hütte im Wald zurückzieht, um dort Bienen zu züchten.

Am Ende der Saison kehrt diese offensichtlich feuerfixierte Frau  die abertausenden von Bienenleichen zusammen, um diese in einem heiligen Ritual zu verbrennen, was der Laie mit „voll einen an der Waffel“ kommentieren würde, aber vielleicht reicht die Beschreibung „esoterisch angehaucht“ ja auch schon. Eine Ausnahme fernab all dieser persönlichen Geschichten bildet der Dokumentarfilm „The Tunnel“ (Jody Vandenburg), welcher binnen 25 Minuten die einst glanzvollen Zeiten des gleichnamigen Standup-Comedy-Clubs in London durch interessantes Footage-Material nachzeichnet, nicht verschweigend, dass der Erfolg auch dem damals großartigen Publikum und einem Host geschuldet war, der gern mal seine Genitalien auf der Bühne ausgepackt hat. Fast schon experimentell mutet schließlich der Beitrag „I Dream In Colour“ (Felix Elsen) an, in welchem blinde Menschen ihre Sicht auf die Welt artikulieren. Ästhetisch setzt er sich deshalb von den anderen Filmen ab, weil „I Dream In Colour“ über weite Strecken auch bildinszenatorisch mit der Sichtweise der Blinden operiert, sodass – zugegeben – eine komplett schwarze Leinwand plötzlich doch ziemlich beklemmende Gefühle auslösen kann. Doch was für experimentelle Beiträge fernab der Konvention hatte British Shorts sonst noch zu bieten?

Filmszene: "A Morning Stroll"

Filmszene: "A Morning Stroll"

Dystopische Exkurse

Offenbar scheinen experimentelle und animierte Produktionen auf den modernen Kinogänger eine größere Faszination als das Dokumentargenre auszuüben, was sich zum einen durch die beinah lückenlos besetzten Vorstellungen erklären lässt und zum anderen einen Animationsfilm als Gewinner des Publikumspreises hervorgebracht hat. Freuen konnte sich der Schöpfer von „A Morning Stroll“ (Grant Orchard), in dessen Beitrag ein Huhn und ein Passant in den Jahren 1959, 2009 und 2059 jeweils an derselben Straßenecke aufeinandertreffen, woraufhin das Huhn jedes Mal anschließend in einem Hauseingang verschwindet. Während in der Schwarz-Weiß-Version von 1959 der Passant die Begegnung überrascht zur Kenntnis nimmt, ist in der farbigen Version von 2009 selbiger viel zu sehr mit seinem Smartphone beschäftigt, um das Kuriosum zu würdigen. Im 3D-animierten Jahr 2059 rächt sich dies schließlich, als der Passant hier nun in einer dystopischen Endzeit-Umwelt als völlig abgemagerter und bizarrer Zombie in Erscheinung tritt und das Huhn in einem Anfall aus ausgehungerter Verzweiflung und Wahnsinn zu jagen beginnt, herausspringende Augäpfel und ein einseitig, raushängendes Matschhirn inklusive.

Doch auch andere Dystopien können sich noch auftun, folgt man der Argumentation des Protagonisten aus Nick Scotts Mockumentary „Big Society„. Auf die Frage hin, ob Gewalt gegen unumsichtige Mitbürger in Ordnung sei, kann dieser prompt nur „Na klar“ antworten und führt seine Erziehungsmaßnahmen gleich mal an einem ahnungslosen Teenager vor. Wer es wagt, sein leeres Tetrapack einfach auf die Straße zu werfen, bekommt als Quittung sofort die Fresse poliert. Abfall gehört in den Abfalleimer, ist doch total logisch. Während diese beiden Beiträge durch ihre skurrile Komik und ihre Originalität brillierten, buhlten andere animierte und experimentelle Filme wohl vergebens um die Gunst des Publikums. Exemplarisch muss an dieser Stelle „My Life With(out) Her“ von Richard J. Moir genannt werden, der per Splitscreen versuchte, die Vor-und Nachteile vom Single- versus Beziehungsleben zu illustrieren. Nun ja, ob der Protagonist nun in der linken Bildhälfte schweigend mit seiner Freundin auf dem Sofa sitzt oder sich in der rechten Bildhälfte vorm Fernseher mit Bier besäuft – was macht da schon den Unterschied? Nicht ganz so glücklich kam außerdem das animierte Musikvideo „Music With Repetitive Structures“ (Cameron Duguid) daher, das nach drei Minuten schwingender und sich reorganisierender Quadrate hier und da für viereckige Augen sorgte und bei dem ein Hinweis auf das Risiko epileptischer Anfälle sicherlich nicht geschadet hätte.

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