Festivalbericht zum 4. Unknown Pleasures

Festialbericht 2012: Das Sprücheklopfen ist wohl passé


Filmszene: Dustin Guy Defas "Bad Fever"

Filmszene: Dustin Guy Defas "Bad Fever"

Was würde passieren wenn man einem Hipster eine kleben würde? Er würde von seinem Gesicht ein Foto machen, es auf seine Tumblr-Seite hochladen und bei Facebook mit dem Kommentar „Autsch“ verlinken und dafür Daumen sammeln. Joe SwanenbergsSilver Bullets“ taucht ein in die Welt der polyamorösen Stoffbeutel-Bratzen: Eine junge, ambitionierte Schauspielerin, ihre beste Freundin und zwei Regisseure, der eine erfolgreich, der andere erfolglos, setzen den Rahmen für eine 70-minütige Tour de Force, die weniger durch ihre Schauspieler, als durch die Art der Inszenierung und Montage den Zuschauer in seinem Stuhl unruhig nach hinten fallen und nach vorne wippen lässt. Drei unterschiedliche Erzählebenen scheinen mehr willkürlich als choreografiert in einander zu fließen. Da hätten wir eine Art „Making Of“, in dem die Kamera ohne Unterbrechung oder Ergänzung eines Offs nach der Alltagswelt der Schauspieler greift. Dazu kommen die tatsächlichen Sequenzen des Werwolffilmes, der ja in „Silver Bullets“ gedreht wird und noch eine Art versteckte Kamera, die das Bettgeflüster der Handelnden einfängt. Also die Produktion der Profession, die Profession selbst und das Private verzwirbeln sich mit Weird Folk-Klängen zu einer Art Orkus, der trotz seines dramatischen Grundtons banal und alltäglich wirkt.

Wir alle haben die Wahl Fetischisten oder Neurotiker zu werden, denn „Was immer das Ich sich in seinem Abwehrstreben vornimmt, ob es ein Stück der wirklichen Außenwelt verleugnen oder einen Triebanspruch der Innenwelt abweisen will, niemals ist der Erfolg ein vollkommen restloser“ (Siegmund Freud). So ist Joe Swanenbergs Streifen nicht ein weiterer Film, der das Geschäft des Filmemachens karikiert, sondern er zeigt die Macht der Verdrängung auf. Während sich für die junge, ambitionierte Schauspielerin die Innenwelt verschiebt und über weite  Strecken durch Fotoshootings und Proben ersetzt wird, so ist es für ihren Freund die Außenwelt, in der er Sozialkontakt um Sozialkontakt aufgibt. Die anderen zwei sind nur Objekte, durch die man entweder durchmastubiert oder für die man sich ein Weiterkommen erhofft. Am Ende des Filmes führen die Beiden das Gespräch, was wahrscheinlich jeder von uns schon einmal führte und benutzen die Phrasen, die man halt eben in dieser Situation so benutzt. Das Gespräch selbst ist mehr borniertes Ritual als Manöver, dabei jedoch taktisch sinnvoll, also deeskalierend und somit nicht sinnstiftend. Da es den Beiden auch hier nur um den öffentlichen Auftritt geht, selbst der blanke Informationsaustausch über das was war ist sekundär, ist es deutlich, dass sie nur als Funktionäre aber nicht als Persönlichkeiten agieren.

Das wirklich Erschreckende, der eigentliche Nährwert des Filmes ist, dass die Handelnden trotz aller Inszenierungssucht, Abgeklärt- und Selbstverliebtheit keinen Dunst davon haben, warum sie so handeln, wie sie handeln. Im Gegenteil, sie beschließen das Erlebte zu mystifizieren, denn schließlich kann man so bei einem zukünftigen Fotoshooting eine weitere Variante tragischer Banalität anbieten. Die Emotionsquelle ist bedeutungslos, denn die Frage nach der Ursache wurde hinter sich gelassen. Der fühlende Mensch wird zu einem Emotionskomponisten, der sich in der Lage sieht, die Emotion von seiner realen Begebenheit abzuschneiden, um allenfalls imaginäre, sprich keinerlei Ursachen durchschimmern zu lassen. So wird das Versprechen manifestiert, Urheber der Neurosen zu sein und so unter ihnen nicht mehr zu leiden, sondern mit ihnen zu arbeiten. Die Falle bei diesem Konstrukt besteht darin, stehen zu bleiben und das Erlebte zu fetischisieren und darin einen Garanten für die eigene Prädestination zu sehen.

Body More, Murderland: Zwischen 2002 und 2008 entfaltete der Autor David Simon in seiner Fernsehserie „The Wire“ mit Drogendealern, Auftragskillern, Bullen, Hafenarbeitern und korrupten Politikern den ganz normalen Wahnsinn der Stadt Baltimore, dessen Bevölkerung seit 1950 aufgrund nicht enden wollender wirtschaftlicher Probleme und einer ridikülen Mordrate ununterbrochen sank. Dabei gelang es Simon so etwas wie Sozialromantik zu vermeiden, denn dort gibt es keine guten oder schlechten Menschen. Keine einfachen Antworten und wenig Lösungsansätze. Balitmore könnte auch Hoyerswerda heißen. Doch im Gegensatz zu den deutschen Medien und ihrer „scripted reality“ bemüht man sich hier darum, die Menschen komplex, also niemals als bloße Verkörperungen ihrer sozialen Rollen, in denen sie dennoch gefangen sind, zu zeigen. Dagegen ist „Putty Hill“ von Matthew Porterfield eine „scripted reality“ über Baltimore und die Beerdigung der fiktiven Figur Cory. Dieser starb mit 24 Jahren an einer Überdosis Heroin. Am Vortag seiner Beerdigung beginnt der Film mit seinem leeren Zimmer und fräst sich dann durch sein soziales Netzwerk und zeigt den Umgang ihm Nahestehender mit seinem Ableben und der inbegriffenen Dialektik, dass ihr Leben ganz normal weiter läuft. Während des Schauens fühlt man sich auf Grund der desolaten Zustände oft an Harmony KorinesGummo“ erinnert.

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