Eine Zwischenbilanz zur Berlinale Halbzeit

Eine Zwischenbilanz zur Berlinale Halbzeit


"L’ enfant d’en haut" ("Sister") von Ursula Meier

"L’ enfant d’en haut" ("Sister") von Ursula Meier

Die erste Hälfte der 62. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele zu Berlin ist vorüber, Zeit sich in der Redaktion auszutauschen und das bisher Gesehene Revue passieren zu lassen. Ungewohnte Einstimmigkeit herrschte bei den Beteiligten am gemeinsamen Berlinale-Blog von kino-zeit.de und berliner-filmfestivals.de über die hohe Qualität im 2012er-Wettbewerb, der in den letzten Jahren doch arg gescholten wurde. Zwei Filme stehen in der Gunst besonders weit oben: Der erste Beitrag aus der Schweiz seit einer gefühlten Ewigkeit: „L’ enfant d’en haut“ („Sister„) von Ursula Meier und Christian Petzolds „Barbara„.

Das liegt neben den bemerkenswerten Regisseuren auch sehr an den beeindruckenden Leistungen der Schauspieler. Neben Petzolds Nina Hoss gilt dies vor allem für die Französin Léa Seydoux. Die war, seit sie Tarantino 2009 in „Inglourious Basterds“ besetzte, schon in weiteren Nebenrollen international aufgefallen. Die Berlinale, wo sie gleich in zwei Wettbewerbsbeiträgen Hauptrollen spielt, könnte sie nun vollends ins Rampenlicht rücken: Zum einen rettet Seydoux als Vorleserin Sidonie Laborde den Historienschinken „Le adieux à la reine“ und lässt dabei Diane Krüger als Marie Antoinette erblassen, während sie zum anderen als durchs Leben taumelnde Louise in „L’ enfant d’en haut“ das perfekte Gegenstück zum diebischen Simon (Kacey Mottet Klein) bildet, der die kleine Familie mit seinen Gaunereien versorgt.

Klein seinerseits gibt den jungen Simon absolut überzeugend zwischen ekelhaft unsympathisch, aggressiv, gerissen und Mitleid erregend arm dran. Ob der Filmnachwuchs schon bereit für die Bärenjagd ist, darf bezweifelt werden, da kommt wahrscheinlich eher Vincent Maillard, der undurchsichtige Kindesentführer aus „À moi seule“ in Frage. Und doch fallen gerade die grandiosen Leistungen der Nachwuchsstars auf, wo Thomas Horn als Oskar Schell in „Extremely Loud & Incredibly Close“ die Zuschauer mitnimmt auf seine wütende, kreative und mutige Suche und Klein in Nichts nachsteht.

Dem Nachwuchs, genauer dem deutschen Filmnachwuchs, widmet die Berlinale die Perspektive Deutsches Kino. Darin begeistern vor allem die Dokumentationen der Sektion. Marten Persiels „This Ain’t California„, der eine nahezu vergessene DDR-Skateboard-Szene einem breite Publikum offenbart, strahlt weit über die Grenze der Sektion hinaus. Ein Beitrag über den noch viele Jahre gesprochen werden wird! Ganz anders einige Spielfilme der Sektion die teilweise – genannt seien „Gegen Morgen“ und „Die Vermissten“ – nicht zu ertragen sind. Wie übrigens auch der außer Konkurrenz im Wettbewerb präsentierte „The Flowers of War“ von Yimou Zhang, der mit dem Machwerk das eigene Denkmal nachhaltig beschädigt.

Kontrovers dagegen die Wahrnehmung von Hans-Christian Schmid, der Denis Demmerle ganz und gar nicht überzeugte, während er Kollege Joachim Kurz Applaus entlockte. Denis störten die theatergleich vorgetragenen Dialoge ebenso wie die merkwürdig stereotypische Darstellung des Bürgertums und manche Absurdität des Drehbuchs (erinnert sei an die hilflose Eidinger-Vision von der verschwundenen Mutter), während Joachim gerade im Vergleich zum ähnlich angelegten Film „Jayne Mansfield’s Car“ die Beiläufigkeit und die punktgenauen Dialoge sowie der stimmungsvolle Score von The Notwist hervorhob. Aber jeder sieht eben immer auch ein wenig seinen eigenen Film…

Wohl endloses Thema der Berlinale-Historie, die Frage, warum jener Film in der Sektion programmiert wurde anstatt in einer anderen. Gerade zwischen Panorama und Forum verwischen die ohnehin schon gleitenden Grenzen teilweise zur Unkenntlichkeit. Losgelöst vom Warum, bargen genannte Sektionen reichlich Schätze. Zuvorderst sei aus dem Panorama das mit Spannung erwartete und per Crowdfunding finanzierte Projekt „Iron Sky“ zu nennen, das als Ergebnis eine herausragend komische, bitterböse Nazitrashsatire und mit Julia Dietze eine Waldorfschullehrerin in Wehrmachtuniform hervorbrachte.

Ebendort findet sich die überragende Doku „Call me Kuchu“ über David Kato, den ersten öffentlich schwulen Aktivisten in Uganda, einem Land, das für Homosexuelle die Todesstrafe fordert und mit aller Macht ein Anti-Homosexualitäts-Gesetz durchzudrücken versucht. Wichtig! Und im Übrigen genau da auch richtig aufgehoben. Bei Uli M. Schüppels pathetischem und pseudointellektuellen „Brötzmann: Da gehört die Welt mal mir“ ist das wiederum zu hinterfragen.

Last but not least, das Forum, wo Alina Impe neben vielen Paarbeziehungen ihr Herz vor allem für „Rent a Cat“ erwärmte aber auch an Denis Côtes (hier ein taz-Interview dazu) Taschenspielertricks in „Bestiare“ ihre wahre Freude hatte.

Kurz und prägnant die bisherigen Favoriten der Autoren…

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