Schauspieler Ronald Zehrfeld über „Wir wollten aufs Meer“


"Wir wollten aufs Meer": Verrat und Macht in einem totalitären System. Foto: Wild Bunch Germany

"Wir wollten aufs Meer": Verrat und Macht in einem totalitären System. Foto: Wild Bunch Germany

Der im 15. Januar 1977 in Ost-Berlin geborene Schauspieler Ronald Zehrfeld gilt er in der DDR als viel versprechendes Judo-Talent, doch nach der Wende beendet er früh seine Karriere. Seit seinem 2006er Debütfilm „Der rote Kakadu“ (Dominik Graf) entwickelt sich der muskulöse Zehrfeld zu einem der gefragtesten Schauspieler seiner Generation. Für seine Darstellung des Chefarztes André in Christian Petzolds Drama „Barbara“ wurde er für den Deutschen Filmpreis nominiert. Sein aktuelles Stasi-Drama „Wir wollten aufs Meer“ feierte seine Premiere beim Filmfest in München und wurde beim renommierten TIFF, dem Toronto International Film Fest, frenetisch gefeiert. Im Interview berichtet Zehrfeld über „Wir wollten aufs Meer„, Doping im DDR-Sport und den Erfolg von „Barbara„, der ihn noch nach L.A. zu den Oscars bringen könnte.

Herr Zehrfeld, Sie werden recht häufig als „Ossi“ besetzt. In „Wir wollten aufs Meer“ verfolgen Andi und Conny, die Ihre Filmfigur Matze verraten, den Traum, als Matrosen zur See zu fahren und die Welt zu sehen. Ihre Eltern arbeiteten bei der DDR-Fluggesellschaft Interflug und lebten in gewisser Weise den Traum der beiden.
Man muss unterscheiden, Conny und Andi wollen raus aufs Meer, die wollen die Welt sehen und in andere Länder reisen. Meine Eltern wiederum kamen zwar in den Genuss von Freiflügen, allerdings beschränkte sich das auf Ein-Tages-Reisen nach Budapest. Morgens hin und abends zurück. Das war ein Privileg, hat aber nichts mit der weiten Welt zu tun.

Das große Thema in ihrem neuen Film sind Freundschaften, aber eben auch instrumentalisierte Freundschaften. Sie selbst wurden 1977 in Ost-Berlin geboren und in DDR groß geworden. Sind Sie mit dieser Stasi-Problematik in Kontakt gekommen?
Ich war ja erst 13, als die Mauer fiel. Es gab aber Fälle in der Verwandtschaft und dem Bekannenkreis.

Wie fühlt es sich an über die Instrumentalisierung, die man real erlebt hat, einen Film zu machen?
Absurd. Das System hat Biografien zerstört. Menschen wurde viel Lebenszeit gestohlen. Und Menschen kamen in ihrem Leben an Punkte, an denen klar war, wenn du etwas Bestimmtes erreichen möchtest, musst du hier oder da ein paar Informationen abliefern. Da musste man erst mal den Arsch in der Hose haben und sagen: Ich verrate nix. Der Film handelt von Freundschaft, Verrat und Macht in einem totalitären System und was es mit dir macht. Man kann sich in Conny hineinversetzen, aber auch in Andi und dessen Enttäuschung nach seinem Unfall. Oder in Matze, der das System nicht mehr will. Spannend ist, wie sich die Entscheidungen der einzelnen Figuren im Film nachvollziehen lassen. Das hat sich niemand so ausgesucht, aber jeder musste tagtäglich Entscheidungen treffen.

Als Kind waren Sie Judoka, ein Sportler, der vom System gefördert wurde. Glorifiziert man dadurch ein solches System?
Das Erziehungs- und Bildungssystem war anders. Es gab andere Wege, die Kinder von der Straße zu holen: Jungpioniere, die FDJ, den Sport – alles Organisationen, die vom Staat finanziert wurden. Der Staat hatte größtmögliches Interesse daran, zu wissen, was passiert und was die Opposition macht. Sie wussten, dass es Bücher gibt, die man nur unter der Hand bekommt und wo es die gibt. Es gab viele Staaten, die die DDR politisch nicht anerkannten. Aber es gab eben den Sport. Doping hin oder her, so gab es für Jugendliche einen Anreiz herum zu kommen. Aber eben auch zu zeigen: Ich bin stolz auf dieses Land. Wir sahen früher die Schattenseiten nicht. Es war schwierig, über den Tellerrand zu sehen und zu erkennen, dass Leute vom Staat unterdrückt wurden.

Ihre sportliche Karriere ging mit dem Fall der Mauer zu Ende, weil damit der Trainingsstützpunkt quasi aufgelöst war. Denken Sie, wenn Sie Olympia sehen, dass Sie da auf der Matte hätten kämpfen können bzw. vor vier Jahren dort hätten kämpfen können?
Ja, vor vier oder eher vor acht Jahren hatte ich solche Gedanken. 1989 bis 1991 war ich noch ein wenig traurig, aber andererseits waren die 90er-Jahre in Berlin eine der spannendsten Zeiten in meiner Biografie. Ich habe das ganz anders miterlebt. Es gab sofort Ablenkung. Als ich zwischen 13 und 20 Jahre war, also bis 1997, ist so viel passiert. Da war kein Weg zu weit, kein Berg zu hoch. Vielleicht ist ein Olympia-Traum zerplatzt, aber ich vermisse nichts, weil ich einen Ausgleich bekommen habe.

In einem Interview haben Sie erzählt, dass Ihnen Drops verabreicht wurden, die als Vitamine bezeichnet waren. Sie gehen davon aus, dass Sie also noch vor der Pubertät systematisch gedopt wurden…
Dafür gibt es keine Beweise. Aber es gab mal eine Anfrage von anderen Sportlern, die eine Sammelklage vorbereiteten. Da war ich aber einfach zu jung. Fakt ist, wir haben den Kram bekommen. Die Frage ist: Waren das Vitamine oder Doping? Für mich war der Preis aber nicht so hoch, wie für andere Sportler.

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