Im Gespräch mit Barbara Hammer

"Ich wollte der Welt zeigen, was mein Leben verändert hat."


"Generations" (2010): Barbara Hammer (re.) mit der queeren Filmemacherin Gina Carducci, Foto: DOK Leipzig

"Generations" (2010): Barbara Hammer (re.) mit der queeren Filmemacherin Gina Carducci, Foto: DOK Leipzig

In den Arbeiten von Barbara Hammer, die als Pionierin des feministischen Films und des Queer Cinema gilt, geht es immer wieder um gesellschaftliche Tabus und Randgruppen, um Geschlechterrollen und unterdrückte Historie. Die ihr gewidmete Hommage beim 55. DOK Leipzig „body.art.resistance“ zeigt frühe experimentelle Arbeiten der heute 73-Jähigen und einige ihrer dokumentarischen Essays, in denen Hammer wiederholt nach der Rolle von Künstlern im politischen Widerstand fragt.

Sie haben Ende der sechziger Jahre mit dem Filmemachen begonnen. In Ihren ersten Filmen verhandeln Sie damalige Tabuthemen wie Menstruation, lesbische Sexualität oder den weiblichen Orgasmus. Was war das für eine Zeit?
Ich glaube, Tabus zu brechen war für mich wichtig wegen meiner Herkunft. Meine Großeltern waren ukrainische Einwanderer, und meine Mutter wollte im Leben unbedingt etwas erreichen. Es gab so viele Sachen, die man nicht tun durfte, die als unhöflich galten und so weiter, und dieser Druck, sich angemessen zu verhalten, weckte in mir den Wunsch, aus diesem Standardmodell auszubrechen. Warum sollte man nicht Menstruation, Menopause oder den Orgasmus zeigen? Es gab keinen sinnvollen Grund für mich, weiterhin die Einstellung der Mittelschicht zu teilen, die grundlegende Körperfunktionen versteckt.

Ihr Film „Dyketatics“ (1974), der echten Sex zwischen zwei Frauen zeigt, war in gewisser Weise bahnbrechend. Haben Sie ein derartiges Echo auf Ihren Film erwartet?

Nein, ich hatte keine Ahnung, dass ich einen bahnbrechenden Film mache. Ich wollte der Welt bloß zeigen, was mein Leben verändert hat: Frauen berühren Frauen. Die Kunst dabei war, 60 Minuten Film auf vier Minuten zu kürzen und in jeder der 110  Aufnahmen diese „Berührung“ zu zeigen, was den Film zu dem Klassiker machte, der er hoffentlich geworden ist.

Sie machen seit mehr als 40 Jahren Filme. Wie haben sich Ihre Arbeiten verändert?
Mein jugendlicher Enthusiasmus, der Körper und die sozialen Konstruktionen von Geschlecht standen im Mittelpunkt meiner Filme der Siebziger. Heute interessieren mich Denkweisen und die Interkontextualisierung von Wissen. Mich reizen vor allem dokumentarische Essays, die Chris Marker eingeführt hat. Es ist eine komplexe Arbeitsweise, bei der du deinen Weg erst im Prozess findest, also während du das Material sammelst und offenlegst. Es gibt immer Geschichten von Menschen, die noch niemand erzählt hat. Und oft gehören sie zu Gruppen, deren Stimme unterdrückt oder geraubt wurde. Falls das heutzutage das Tabu ist, also bestimmte Menschen ruhig zu stellen oder ihnen Chancengleichheit zu verweigern, dann ist es das Tabu, das ich brechen möchte.

Im Mittelpunkt Ihrer jüngeren Arbeiten stehen die Lebensgeschichten starker Frauen oder berühmter Künstler. Sie fragen immer wieder nach der Rolle von Kunst im Krieg oder in Zeiten radikaler Umwälzungen. Welche Beweggründe stecken dahinter?
Der Antrieb hinter jedem meiner Filme ist die wunderbare Gelegenheit, eine einzigartige Lebensgeschichte zu erzählen, diese zu entdecken und zu erforschen, und man könnte sogar sagen, dass ich das Privileg habe, zu fragen. In „Lover Other“ war es die erstaunliche revolutionäre Arbeit zweier lesbischer Künstlerinnen und Liebhaberinnen, Claude Cahun und Marcel Moore, die den einzigen organisierten Widerstand auf der Insel Jersey während der Nazi-Besatzung bildeten. Bei „Maya Deren’s Sink“ war es die unfassbare Offenlegung der architektonischen Zwischenräume, die meine eigene filmische Heldin und Mentorin, Maya Deren, in ihren unglaublich wichtigen Filmen lebte und  erarbeitete. Filme, die mein Leben verändert haben und die mich davon überzeugten, dass ich die richtige Kunstform gefunden habe, um mich auszudrücken.

Interview Eileen Reukauf / mit freundlicher Genehmigung des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer

DOK Leipzig 29. Oktober bis  4. November, Programm unter www.dok-leipzig.de