Poetic Encounters

Poesiefilmer und Lieblingsdichter


Regisseurin Wiola Sowa im Rollstuhl - die preisgünstige Variante einer Kamerafahrt. Foto: Zebra Poetry Filmfestival

Regisseurin Wiola Sowa im Rollstuhl - die preisgünstige Variante einer Kamerafahrt. Foto: Zebra Poetry Filmfestival

Zum zweiten Mal treffen beim Zebra Poetry Film Festival Filmemacher aus dem Ausland auf Dichter aus Berlin. „Poetic Encounters“ nennt sich der ungewöhnliche Filmworkshop, der dieses Jahr ganz im „Fokus Polen“ steht. Wiola Sowa, Maciek Majewski und Lukasz Twarkowski verfilmen Gedichte von Nico Bleutge, Norbert Hummelt und Christian Filips. Wir haben zwei der drei Teams bei ihren Dreharbeiten getroffen.

In eine Wohnung im Simon-Dach-Kiez hat es Wiola Sowa für ihren Aufenthalt in Berlin verschlagen. Sie hat sie direkt zum Drehort umfunktioniert und sich gerade noch von einem Zebra-Mitarbeiter auf einem Rollstuhl herum schieben lassen – die preisgünstige Variante einer Kamerafahrt. Jetzt sitzt sie mit Nico Bleutge beim Kaffee. Nach zahlreichen E-Mails lernen sich die polnische Filmemacherin und der in Berlin lebende Dichter endlich persönlich kennen. „Nico schafft in seinen Gedichten Atmosphäre, ohne zu viel zu sagen“, erklärt sie ihre Entscheidung für Bleutge, den sie aus mehreren Dichtern ausgewählt hat.  „Ich habe nach einem Dichter gesucht, der in seiner Sprache Raum für Bilder lässt.“ Für die Verfilmung hat sie sich für „nicht farbe“ entschieden, eines der wenigen Gedichte, für das es einen Ur-Impuls in Bleutges Biografie gibt. Seine Großmutter, die das Ende ihres Lebens in einem Heim verbrachte, verweigerte eines Tages einfach das Sprechen, weil es ihr in eben diesem Heim so gar nicht gefiel. Die intensive Erinnerung an diese Situation warf bei dem aus München stammenden Poeten Fragen danach auf, was es mit dem Nicht-Sprechen auf sich hat und ob Erinnerungen letztendlich nicht viel mehr Fiktion und Erfindung sind als tatsächlich erlebte Vergangenheit. „Die Erinnerung schleift sich ja schön zurecht über die Jahre“, meint Bleutge. „Ob all die Erinnerungssplitter tatsächlich etwas mit der Vergangenheit zu tun haben, war meine Frage.“ Wiola Sowa kam es bei dem Gedicht besonders auf die zwischenmenschlichen Gefühle an, das Schwierigste beim Dreh war die Darstellung der Erinnerungsebene, erzählt sie.

Den Hauptcharakter ihres Films animiert die Künstlerin aus Krakau, die 2010 bereits mit einem Animationsfilm auf dem Zebra vertreten war, aus einer einfachen Zeichnung. „Ich bin sehr gespannt, wie aus meinem Gedicht ein Film wird“, sagt Bleutge, der vorab ein erstes Script des Films bekommen hat. „Ich an deiner Stelle hätte Angst“, wirft Sowa ein und schüttelt lachend ihr kupferfarbenes Haar. Doch Bleutge ist da ganz entspannt, für ihn kommt es gar nicht in Frage, sich groß einzumischen. „Es ist eine Übersetzung meines Gedichts in eine andere Art von Kunst.“ Aber er leiht dem Film seine Stimme, gibt mit seiner sprachlichen Interpretation eine „Deutungshilfe für den Film“, wie er es nennt, ohne für sich in Anspruch zu nehmen, dass es maßgeblich für das Gedicht wäre, wie er es liest. Sowa freut sich, denn bereits beim Anhören seiner Gedichte auf lyrikline.org war sie begeistert von seiner Stimme. Die Internetplattform präsentiert zeitgenössische Poesie im Originaltext, der von den Dichtern selbst eingesprochen wird, sowie die Übersetzungen. Hier suchten sich Sowa und ihre Kollegen Majewski und Twarkowski bereits im Sommer ihre Lieblingsdichter aus. Die Zeit für die filmische Umsetzung der Gedichte ist mit sechs Tagen äußerst knapp bemessen. „Dieses Mal steht den Künstlern ein bisschen mehr Equipment zur Verfügung als bei den deutsch-israelischen Poetic Encounters 2010 und auch ein Tag mehr“, erklärt Projektleiterin Antje Grötzsch von der Literaturwerkstatt Berlin das ambitionierte Projekt. Wiola Sowa hätte gerne mehr Zeit, um ihre Arbeit zwischendrin ein paar Tage liegen zu lassen und dann mit einem frischen Blick abzuschließen. „Aber Deadline ist Deadline“, sagt die Filmemacherin motiviert, „ich gebe jetzt einfach mein Bestes.“

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