One World Berlin 2012

Im Kleinen wie Großen


"Would you have sex with an arab?", Foto One World Berlin

"Would you have sex with an arab?", Foto One World Berlin

Ein langer, inniger Kuss eröffnet den Film. Darauf folgt aus dem Off eine scheinbar simple Frage an eine junge Frau, die wie wahllos aus einer Gruppe von Partygängern herausgesucht wirkt: „Would you have sex with an arab?“.  In Mitteleuropa würde man diese Frage wohl recht milde belächeln, beiläufig abtun oder mit einem Achselzucken wegwischen. In Israel, wo die französische Filmemacherin Yolande Zauberman und ihr Ko-Autor, der libanesische Schriftsteller Selim Nassib, mit der Kamera unterwegs sind, ist das anders. In den Interviews, die die Regisseurin sowohl mit Juden als auch Arabern führt, gibt es keine klaren Antworten. Wird zu Beginn eines Gesprächs ein klares Ja in die Kamera geworfen, ändert sich die Meinung nur wenige Minuten später zu einer unklaren Äusserung. Würdest du mit einem Araber schlafen? Würdest du mit einem jüdischen Israeli schlafen? Im Nachtleben von Tel Aviv und Jerusalem findet Zauberman natürlich Antworten. Sie lassen sich aber nicht auf etwas Formelhaftes reduzieren. Geradezu brilliant ist das harmlose Konstrukt, mit dem die Regisseurin aufzeigt, welcher Bruch durch die israelische Gesellschaft geht, die bekannterweise nicht nur aus Juden sondern ebenso aus Arabern besteht.

Would you have Sex with an Arab?“ eröffnet in diesem Jahr die 9. Ausgabe von One World Berlin, das vom 22. bis 28. November stattfindet. Und wie diese Dokumentation weisen zahlreiche andere Beiträge des diesjährigen Festivals mittels subtiler Form auf problematische Sacheverhalte und Diskurse in den Gesellschaften unserer globalisierten Welt hin. In „Unbelehrbar“ begleitet Anke Hentschel die 40-jährige Ellen, die beschlossen hat, endlich richtig Lesen und Schreiben zu lernen. Ein Film, getragen vom Aufbruch und Neuanfang, denn Ellen beschließt, da in der Volkshochschule ihres Heimatortes kein Kurs dazu angeboten wird, ins nahe Berlin zu ziehen. In der Großstadt ist sie das erste Mal auf sich allein gestellt und lebt ihren Entschluss mit unbeugsamer Konsequenz.

Andreas Kuno Richters Dokumentation „Der verlorene Sohn. Uwe Böhnhardt – Der Weg in den Untergrund“ zeigt, wie Böhnhardts  Eltern damit umgehen, dass ihr Sohn ein mutmaßlicher Terrorist und mehrfacher Mörder ist. Richter begleitet eine 11. Klasse in Jena, die Böhnhardts Elten interviewten und stößt dabei auf bisher unveröffentlichtes Archivmaterial aus dem Jahr 1991, auf dem die Komplizin Beate Zschäpe zu sehen ist. Gentechnik im Agrobusiness untersucht Micha X. Peleds Dokumentarfilm „Bitter Seeds„. Alle 30 Minuten nimmt sich ein indischer Bauer aus Verzweiflung das Leben, weil er nicht mehr für seine Familie sorgen kann. Wie kann es sein, dass ein hart arbeitender Bauer und Vater an einen Punkt gerät, an dem der Selbstmord als einziger Ausweg erscheint und eine Flasche Pestizide trinkt? Das alles ergibt einen schrecklichen Sinn, wenn man versteht, welche Kräfte am Werk sind: das  Zusammenspiel von Genmanipulation in der Landwirtschaft, Globalisierung und der traditionellen Kultur Indiens. „Bitter Seeds“ nimmt den Betrachter mit in ein indisches Dorf mitten in der Region, in der die Suizidkrise am schlimmsten ist. Der Film begleitet Einwohner wie Ram Krishna, einen Baumwollbauern, und seine Familie über einen Sommer hinweg, während sie darum kämpfen, ihr Land nicht zu verlieren. Dabei arbeitet sich die Dokumentation nicht rührselig an den dramatischen Lebensgeschichten ab, sondern wirft einen eindrücklichen Blick auf die Zukunft der globalisierten Landwirtschaft.

Martin Daßinnies

One World Berlin 22. bis 28. November 2012, Kino Arsenal, Tschechisches Zentrum Berlin, Programm unter www.oneworld-berlin.de