Ulrich Seidl im Interview zu „Paradies: Liebe“

Es geht immer um Machtverhältnisse


"Das ist nicht leicht, wenn es so körperlich wird", Foto: Neue Visionen Filmverleih

"Das ist nicht leicht, wenn es so körperlich wird", Foto: Neue Visionen Filmverleih

Geld spielt im Film eine Rolle, es ist der Motor für alles, macht aber auch alles kaputt.
Das erzählt der Film nach und nach. Zunächst steht da eine romantische Vorstellung, die Suche nach einem Mann, der einen versteht und nicht fragt, wie alt ich bin, wie viel Kilo ich zu viel habe und wie viele Kinder ich habe. Die Frauen kommen dorthin, weil die Männer das dort nicht fragen. Im Gegenteil: Sie bringen den Frauen eine große Wertschätzung entgegen. Sie schätzen sie als Liebespartner, deshalb funktioniert es auch zunächst. Es geht aber immer mehr ums Geld, was die Frau enttäuscht. Sie merkt, dass nicht sie selbst gemeint ist, sondern jemand, der Geld bringt. Und sie wird als weiße Frau betrachtet, was für viele Kenianer eine soziale Aufwertung bedeutet. Das ist immer noch so.

Warum tut es Teresa in ihrer Rolle wieder?
Nach einer Enttäuschung hofft man, dass es beim Nächsten funktioniert. Das ist bei uns aber auch so und hat mit Afrika nichts zu tun. Man geht Liebesbeziehungen ein, wird enttäuscht, trennt sich und ist sofort wieder bereit, den Nächsten kennen zu lernen.

Was sind das für Beziehungen?
Das sind geschäftliche Beziehungen. Auch unsere Partnerschaften haben sehr viel mit Geschäft zu tun. Nicht mit Geldgeschäften, aber dahingehend, dass man immer auch vom anderen etwas erwartet. Dort drückt sich das mit Geld aus. Die weißen Frauen bekommen, was sie bekommen wollen und die schwarzen Männer auch. Das ist relativ klar. Es gibt Verhältnisse, die dauern einen Urlaub lang, drei Wochen. Dann gibt es Frauen, die das seit Jahrzehnten betreiben. Nicht unbedingt mit einem Mann, sondern, wenn es scheitert, eben mit dem nächsten.

Wichtiges Element im Film ist die Machtkomponente. Teresa sucht gegen Ende des Films gezielt einen Kellner auf, um ihn für seinen Dienst zu bezahlen, während sie anfangs noch nach wahrer Zuneigung sucht. Sie fordert es geradezu ein. Hat Sexualität immer etwas mit Macht zu tun?
Ja, in Partnerschaften geht es immer um Macht und auch immer um sexuelle Macht. Es geht immer um Machtverhältnisse, die sich in Sexualität ausdrücken. Ich weiß nicht, ob Sexualität solche Machtverhältnisse braucht, vielleicht auch nicht in so einer extremen Form, aber ich glaube, man findet das in jeder Partnerschaft.

Die Geburtstagsparty-Szene, in der die Sex-Touristinnen den Call-Boy auf alle erdenkliche Art erniedrigen, zeigt die Abhängigkeit auf schmerzhafte Weise und in epischer Breite. Wie haben die Darsteller das aufgenommen?
Bevor ich entschied, wer welche Rolle spielt, habe ich die Frauen mit nach Afrika genommen und eine Woche lang in Verbindung mit den Schwarzen getestet. Habe probiert, ob sie intime Szenen spielen können und wie sich das anfühlt. Das ist nicht leicht, wenn es so körperlich wird. Meine Darstellerinnen wussten, wie hart das wird. Für sie war es unheimlich schwierig, die Stimmung und Emotion zu finden. Für die Schwarzen war das Verhältnis nicht so nahe. Denen konnte ich im Vorfeld sagen, was ich hier will. Es war aber nicht leicht, Männer zu finden, die bereit waren, das in einem Film zu machen. Es gibt da eine natürliche Schamgrenze und die Region um Mombasa herum ist sehr muslimisch geprägt. In Kenia sind nur zwanzig Prozent Muslime, aber dort fühlt man sich wie in einem muslimischen Land. Am Strand finden sich keine Einheimischen in Badeanzügen. Alle tragen lange Kleider. Prostitution und all das findet nur in der Nacht, innerhalb der Räume statt. Im öffentlichen Bild gibt es das nicht.

Sie sagen, dass Prostitution hinter verschlossen Türen stattfindet. Durften Sie bei den Dreharbeiten alles machen?
Es musste alles genehmigt werden. Im Nachhinein haben die Behörden mitbekommen, was für ein Film das ist und ich werde da nie wieder Drehen können, weil der Film dem Image des Landes, wie sie es verstehen, schadet. Es gibt keine Demokratie mit unterschiedlichen Meinungen. Sie sehen Kenia anders und wollen Kenia auch anders sehen. Ein sauberes Land, in dem man sich glücklich fühlt. Das erzähle ich nicht.

Mit der Trilogie gelingt Ihnen ein besonderer Coup, Teil eins, „Paradies: Liebe„, feierte Premiere in Cannes, Teil zwei, „Paradies: Glaube„, anschließend in Venedig und der letzte Teil, „Paradies: Hoffnung„, wird bei der Berlinale uraufgeführt…
Hundstage„, der international mein erster Erfolg war, bekam den Großen Preis der Jury in Venedig. „Import Export“ war in Cannes, genau wie „Paradies: Liebe„. Ich glaube es hat bisher noch niemand erreicht, in Serie in allen drei großen Wettbewerben zu sein. Das war nicht so geplant und ist auch nicht zu planen, hat sich aber toll ergeben. Ich hatte schon die Zusage von Venedig für alle drei Filme, dann kam aber Cannes und wollte den ersten Film haben. Es war die richtige Reihenfolge, genau so, wie ich sie am Schneidetisch festgelegt habe. Lange war es eine andere, die aber nicht funktionierte.

Was hat der österreichische Film, der in den letzten Jahren bei Festivals gut abschneidet, dem deutschen Film voraus?
Gut abschneidet ist eine starke Untertreibung. Der um Klassen besser ist, als der deutsche Film. Er hat ein Standing in Europa und der Welt. Unbestritten hat sich das so entwickelt. Das liegt möglicherweise an der Filmpolitik. Ich habe im Neuen Deutschen Film, der Generation von Fassbinder und Herzog, gelernt. Das war eines Tages vorbei. Das hat politische Gründe, weil man die Filmförderung auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet hat. In Österreich steht der kulturelle Gedanke im Vordergrund. Haneke hatte, genau wie ich, die Möglichkeit, sich konsequent zu entwickeln. Hanekes Filme waren lange Zeit ohne Zuschauer, waren erfolglos. Wir wissen, wie es jetzt ausschaut. Was Haneke und mich auszeichnet: Wir gehen härter ran, sind kritisch. Das ist Aufgabe der Kunst und auch des Filmemachers. Es entsteht Autorenfilm und nicht nur Mainstreamkino. Nur so lässt sich ein Gegenpunkt gegen das beherrschende Kino setzen.

Sie haben Ihren Film nach einem Streit von der Viennale zurückgezogen. Zählt der Prophet im eigenen Lande nichts?
Das könnte man so sagen. Das trifft den Punkt. Es gibt in Österreich Leute, wie den Hans Hurch (Anm. Viennale-Direktor), die dem nationalen Film nicht den Rahmen geben, den er international hat. Damit hat er sich selbst geschadet.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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