Ken Loach beim Talent Campus

"Sozial bedeutet für mich human"


Foto: Berlinale

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Es ist ein bewegender Moment, als sich der britische Filmemacher Ken Loach am Mittwoch im Theater am Halleschen Ufer nach anderthalb Stunden Podiumsdiskussion verabschiedet. Mit Standing Ovations wird der mittlerweile 75-jährige Grandmaster des politischen europäischen Kinos aus dem Saal entlassen. Zuvor hatte Moderator Ben Gibson alle Mühe, seine eigenen Fahrplan voranzutreiben: Zu viele Fragen brannten den Zuschauern/Fans unter den Nägeln, die Loach begeistert und ausführlich beantwortete. Zwar wurden Ausschnitte aus Filmen wie „Kes“ und „Land and Freedom“ gezeigt, sowie ein kurzer Ausschnitt seiner aktuellen Doku-Produktion „The Spirit of ’45„, die im Berlinale Special zu sehen ist, viel lieber aber sprach der Regisseur über die verschiedenen Prozesse des Filmemachens: „Die Essenz des Drehbuchschreibens besteht daraus, die Figuren einzufangen und sie auf das Papier zu bringen“, sagt er.

Drehbuchschreiben, so der Regisseur, sei die am meisten unterschätzte Disziplin des Filmemachens. „Aber wie“, so fragt eine Zuschauerin mit einem schlafenden Säugling auf dem Arm, „gehen Sie mit Kindern am Set um?“ „Seien Sie auf keinen Fall deren Mutter- oder Vaterersatz“, rät Loach, so sei immer eine gewisse Distanz gewährleistet, die sie zu Höchstleistungen antreibe. Überhaupt verrät der Regisseur viel über seine Arbeit am Set: „Wenn ein Schauspieler nicht das Beste leistet, zu was er imstande ist, so ist es immer die Schuld des Regisseurs, nicht des Schauspielers.“ Mit dem Script gehe er deswegen auch vorsichtig um: „Ich gebe fast nie das ganze Buch an die Schauspieler“, sagt er „denn ein Gefühl wie zum Beispiel Überraschung oder Trauer muss immer aus dem Moment heraus entstehen“.

Eine andere Frage, die das Publikum, das größtenteils aus jungen Filmemachern und -studenten bestand, war selbstverständlich die des politischen Filmemachens. „Was bedeutet für Sie sozial?“, fragt ein Zuschauer, der sich selbst als Russe aus der post-kommunistischen Russischen Föderation vorstellt. „Das Gegenteil von Stalinismus“, antwortet Loach, „sozial bedeutet für mich human“. Loach, der für seine stets politisch hoch engagierten Filme bekannt ist, in denen er Missstände wie unterbezahlte Jobs, Arbeitslosigkeit und Klassendenken in den Fokus seiner Geschichten setzt, besetzt lieber Laiendarsteller für seine Protagonisten als Profis. „Eine Rolle, die aus einer anderen Klasse als deiner stammt, zu besetzen, ist besonders schwer. Ich halte nichts davon, wenn bekannte Schauspieler sich einen Akzent oder einen bestimmten Humor antrainieren, der nichts mit ihnen selbst zu tun hat. Lieber besetze ich Leute aus der Region und der sozialen Klasse, in der die Geschichte auch wirklich spielt“, sagt er.

„Klassenbewusstsein“ – ein Ausdruck, der vielen im Saal sicherlich etwas anachronistisch erscheint. Aber Loach, der sich selbst mit diesem Bewusstsein durchaus als waschechter Brite enttarnt, bewies nicht zuletzt mit „The Wind That Shakes The Barley„, dass er sich immer auch in steter Reflexion über diesen Begriff befindet. Der Film, der die brutalen Vorgehen der britischen „Black and Tans“ gegen die Iren nach dem Ersten Weltkrieg aufzeigt, wurde 2006 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. „Letztendlich sollen meine Filme diejenigen unterstützen, um die es geht“, sagt er abschließend. „Filme können immer nur eine kleine Stimme sein, aber sie können Fragen hinterlassen und das ist das Wichtigste, was eine Geschichte leisten sollte.“

Text: Cosima Grohmann

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