“Lore”-Regisseurin Cate Shortland im Gespräch

Der menschliche Instinkt sträubt sich gegen den Hass


Regisseurin Cate Shortland, Foto: rohfilm/Pifflemedien

Regisseurin Cate Shortland, Foto: rohfilm/Pifflemedien

Cate Shortlands Drama „Lore“ wird seit seiner Premiere beim Sydney International Film Festival mit Preisen überhäuft. Sie gewann u. a. den Publikumspreis in Locarno und wurde von Australien ins Rennen um den Oscar geschickt. Erstmals überhaupt drehte eine Australierin einen Film in deutscher Sprache. Shortland, die bereits 2004 mit ihrem Debüt „Sommersault“ für Aufsehen sorgte, fängt die Tristesse des gerade gescheiterten Dritten Reiches ein und gibt den Kindern dieser Kriegsgeneration mit ihrer Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl ein Gesicht. Im Gespräch erklärt sie, warum sie den Film in deutscher Sprache drehte, spricht über ihre Beziehung zu Deutschland und darüber, dass auch heute Menschen zu Mitläufern werden, die wegsehen, anstatt zu handeln.

Frau Shortland, Ihr Drama „Lore“ basiert auf dem Buch „Die dunkle Kammer“ von Rachel Seiffert. Es erzählt die Geschichte der 15-jährigen Lore, Tochter ranghoher Nazis, die am eigenen Leib spüren muss, wie ein System scheitert. Ihr Produzent schenkte Ihnen ein Exemplar nach einer Vorführung von „Somersault“ (2004), also vor acht Jahren. Wie kam es, dass Sie es erst Jahr später verfilmten?
Ich war ich mir nicht sicher, ob ich weiter Filme machen will. Gemeinsam mit meinen Mann zog ich nach Südafrika, wo wir einige Jahre in Johannesburg lebten. Wir adoptierten Kinder und ich beschäftigte mich mit anderen Dingen als Film.

Was stört Sie am Filmbusiness?
Ich mag diesen Personenkult nicht. Für mich bestünde das größte Vergnügen darin, Filme anonym zu drehen.

Empfinden Sie diese Interviewsituation als unangenehm?
Nein, mich stresst es, vor der Kamera stehen zu müssen. Aber es geht nicht ohne. Das gehört zum Geschäft.

Rachel Seifferts „Die dunkle Kammer“ erzählt drei Geschichten über den Umgang mit dem geistigen Erbe der Nazi-Generation aus unterschiedlichen Zeiten und Perspektiven, der von Helmut, Micha und eben Lore. Wieso haben Sie sich für Lore entschieden?
Mein Favorit war ursprünglich die des jungen Berliner Lehrers Micha, der mit einer Türkin verheiratet ist und herausfindet, was seine Familie angerichtet hat. Eine klassische Holocaust-Geschichte, die im modernen heute angesiedelt wäre. Meine Produzenten überredeten mich zu Lores Part, der viel schwieriger ist, weil es keinen typischen Helden gibt, der auf der Suche nach der Wahrheit ist. Deshalb ist die Geschichte viel tougher, aber auch viel intimer.

Der Film formuliert eine Frage  an seine Zuschauer: Wie hätte ich mich zu dieser Zeit verhalten?
Genau das interessiert mich. Wie ist es, ein Mitläufer zu sein? Wir tun das heute noch immer genau so und wir haben es immer getan. Die komplette „Erste Welt“ tut es. Mich fasziniert die Idee, das Andere, das Fremde zu analysieren. Lore ist genau daran interessiert. An dem Jungen, von dem ihr immer erzählt wurde, er sei anders.

Sind wir nicht alle Mitläufer, wenn wir die Situation betrachten, die eine „Erste“ neben einer „Dritten Welt“ zulässt?
Das sind wir! Aber wir müssen nicht mal bis in die „Dritte Welt“ schauen. Ein Blick die Straße hinunter reicht aus. Wenn du in einem Berliner Park mit deinen Kindern spielst und nur wenige Meter weiter die Polizei harsch gegen eine Gruppe musizierender Sinti und Roma vorgeht, dreht sich jeder weg. Das passiert ständig. Hier genau wie in Australien mit der indigenen Bevölkerung. Menschen drehen der Situation den Rücken zu. Ich bin ganz sicher keine Heilige, aber das geht mir unter die Haut.

Ist die Situation in Australien mit den Aborigines tatsächlich vergleichbar?
Sicher, Gräuel lassen sich vergleichen. Deutschland, das seine Geschichte seit zehn, zwanzig Jahren hinterfragt, macht das großartig. Australien macht das noch nicht. Es bleibt ein blinder Fleck zurück. Die Leute leiden darunter und es entstehen Furcht und Hass. Jede Gesellschaft, die sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, übernimmt Verantwortung für seine Schuld. Eine Schuld die Menschen wütend macht, aber so für Dialog sorgt. Darauf kann ein nächster Schritt folgen, in dem man fragt, wie mit der Situation umzugehen ist. In Australien wurde all das gestoppt.

Betrachten Sie sich als politische Filmemacherin?
Ganz und gar nicht. Ich bin sehr romantisch. Der Kern meiner Filme muss immer eine Beziehung sein. Für mich war Lore bis über beide Ohren in Thomas verliebt. Thomas wird eine der großen Lieben in ihrem Leben sein. Wenn ich daraus eine Geschichte entwickeln kann, die Menschen zum Nachdenken bringt, ist das wundervoll. Ich könnte nie einen trockenen Stoff umsetzen. Es muss immer intim und auf seine Art schön sein.

Lore wuchs in einer Generation auf, die an Hitler und seinen Wahnsinn glaubte. Plötzlich bricht alles, an das sie glaubt, zusammen. Was macht das mit ihr?
Ihre Instinkte kämpfen mit ihrer Erziehung. Sie erzählt ihren Geschwistern auch nicht, dass Thomas Jude ist. Wenn sie das täte, müsste sie ihn verlassen. Aber sie kann nicht. Selbst wenn sie ihn bekämpft will sie nicht, dass er geht.

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