Regisseur Olivier Assayas im Interview zu “Die wilde Zeit”

Filme sollten Fragen stellen


Regisseur Olivier Assayas bei den Dreharbeiten zu "Dei wilde Zeit". (c) NFP Carole Bethuel.

Regisseur Olivier Assayas bei den Dreharbeiten zu "Dei wilde Zeit". (c) NFP Carole Bethuel.

Der in Paris geborene Regisseur Olivier Assayas („Carlos – Der Schakal„) greift mit „Die wilde Zeit“, den die Französische Filmwoche im Dezember 2012 präsentierte, ein von ihm filmisch unvollendetes Thema auf und knüpft an sein 1994er Werk „L’eau froide“ an, in dem er sich erstmals mit den radikalen 1970er-Jahren auseinandersetzte. Mit „Die wilde Zeit“ gelingt Assayas, der einst bei der legendären französischen Filmzeitschrift „Cahiers du Cinéma“ seine Laufbahn als Filmkritiker begann, ein sensibles Portrait einer Generation, von der er selbst Teil war. Im Interview zum biographisch gefärbten Werk rechnet er mit der politischen Linken ab, erklärt was Film politisch leisten kann und vergleicht die eigene Generation mit der Jugend von heute.

Herr Assayas, wie viel hat „Die wilde Zeit“ mit Ihrer Biographie gemein?
Olivier Assayas:
Das kommt auf den Blickwinkel an. Der Film basiert auf Erinnerungen, aber auch auf Fakten. Er enthält wenig Fiktion, wenig Erdachtes, aber auf der anderen Seite ist alles im Film erfunden, denn es ist ein Film. Ich baue seine Geschichte mit persönlichen Elementen und Erinnerungen auf, aber Filmemachen hat wenig mit Biographien zu tun. Ich suche die Schauplätze aus, caste Schauspieler und schreibe mein Drehbuch, in das viele Erfahrungen einfließen. Vermutlich ist es eine fiktionalisierte Biographie. Das Ergebnis ist aber näher an einer kollektiv erlebten Geschichte, als an einer persönlichen. Er zeigt etwas, das viel größer als ich ist: Die Geschichte meiner Generation. Meine Geschichte mischt sich unter.

Sie nehmen sich nach „L’ eau froide“ zum zweiten Mal diese Ära vor…
Ich liebte den Film und war sehr stolz auf ihn, als ich ihn gemacht habe, aber im Nachhinein war ich frustriert, weil ich darin eher eine poetische Version der 1970er zeigte. Es fehlte die Hochschulpolitik dieser Zeit, genau wie die Kultur und das, was essentiell für die Zeit war, eine künstlerische Erweckung.

Brauchen Sie ein persönliches Element als Zugang zu Film?
Eine verrückte Seite in mir, hat mich zum Filmemacher gemacht. In „Die wilde Zeit“ sieht man, wie ein Kind Tinte auf Papier schleudert. Kino als meinen Weg, um Gefühle auszudrücken. Ein Kino, das das echte Leben einer echten Person zeigt. Das brachte mich vom abstrakten Malen zur Figürlichkeit, der Darstellung anhand der Bilder des Kinos. Meine Geschichte ist eingebettet in die meiner Generation. Die anderen Figuren im Film basieren offensichtlich auf realen Freunden und ihrer Vergangenheit. Gilles (Anm. die Hauptfigur in „Die wilde Zeit„) wäre ohne diesen Kontext undenkbar. Seine Umgebung und die anderen Kids um ihn herum definieren ihn.

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