Das Venedig-Blog 2013

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Tag 6: Rückblende – Hayao Miyazaki lässt in Venedig seinen Rückzug aus der Welt der Animation mitteilen

Koji Hoshino, Direktor der Ghibli Studios verliest Sonntagmittag in der Pressekonferenz zum japanischen Wettbewerbsfilm Hayao Miyazakis eine persönliche Mitteilung des nicht angereisten Regisseurs. Nach der verlesenen Mitteilung klärt sich möglicherweise die Frage, warum er nicht anreiste: „In der Vergangenheit war ich oft eingeladen zum Venedig Filmfestival – ich spreche von Hayao Miyazaki – und ich muss sagen, es gefällt mir sehr am Lido. Und hier möchte ich meine Mitteilung machen. Hayao Miyazaki hat sich dazu entschlossen, sich nach „Kaze Tachinu“ vom Kino zurückzuziehen. In der nächsten Woche wird Hayao Miyazaki eine Pressekonferenz dazu in Tokio abhalten. Deshalb bitte ich Sie um Verständnis, dass ich zu seinem Rückzug aus der Welt der Animation keine Fragen akzeptieren kann, weil es eben diese Pressekonferenz geben wird. Dennoch wünscht er, alle von ganzem Herzen zu grüßen. Vielen Dank.“

Einen Tag nach der plötzlichen Rücktrittsmeldung Miyazakis aus 40 Jahren Filmkarriere (1969 bringt er mit „Der gestiefelte Kater“ sein erstes Werk heraus) wirft selbige ein neues Licht auf seinen letzten Film, den japanischen Wettbewerbsbeitrag „Kaze Tachinu“ („The Wind Rises„). Der Film, der in Japan bereits über 60 Mio. Euro einspielte und im Vorfeld für viel Zündstoff sorgte, da ihm Kriegsverherrlichung und zum Teil Geschichtsklitterung unterstellt wurde, bekam aber auch ohne die Ankündigung jede Menge Aufmerksamkeit. Nicht etwa nur, weil der Regisseur und Oscarpreisträger (2006, „Das wandelnde Schloss“) bereits dreimal in Venedig eingeladen war (2004, 2005, 2008), sondern wohl auch deshalb, weil einer der Hauptprotagonisten seines neuen Filmes, Jiro, davon träumt, in die großen Fußstapfen Gianni Capronis, des bekanntesten Pioniers der italienischen Luftfahrt zu treten. Schon mit „Porco Rosso“ hatte Miyazaki bereits in den 1990er Jahren mit Piccolo einen Protagonisten geschaffen, der dem Flugzeugingenieur nachempfunden war, so erklärt Koji Hoshino in der Pressekonferenz. In diesem und letzten Film nun taucht Gianni Capronis als Geist auf, der den Jungen Jiro – den japanischen Flugzeugdesigner Jiro Horikoshi – in seinen Träumen aufsucht und ihm den Traum vom Fliegen schenkt. Als Heranwachsender bekommt er schließlich die Möglichkeit, als Flugzeugentwickler zu arbeiten – während der Bündnispartnerschaft zwischen Japan und Deutschland. Abzuwarten bleibt bei dem kleinen Wirbel aber, ob diese aktuelle Ankündigung in irgendeiner Form Einfluss auf die Preisvergabe haben wird.

Tag 7:  Mensch, ärgere dich nicht…
Über die Hälfte des Festivals ist geschafft. Nur noch ein paar Tage heißt es, Gruppenkuscheln zu wenig toleranzerprobten frühen Morgenstunden auf den absurd überfüllten Vaporetti (Lagunenfähren) – eine Angabe zur Personenbeförderungsgrenze scheint es nicht zu geben, oder geflissentlich ignoriert zu werden. Zur Freude der bereits lächerlich eng aneinandergequetschten Passagiere (von denen widerrum Gondelnutzer oder Passagiere von weniger überfüllten vorbeifahrenden Fähren belustigt Fotos schießen) drängeln trotzdem an jeder Haltestelle munter weitere Passagiere auf das Lidobötchen. Jeder darf mit, der sich nur draufwagt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Besonders clever kommen sich die vor, die einen austricksen, wenn man zu hilfsbereit ist und beim Aussteigen hilft und selbst von Bord geht. Da kann es passieren, dass man auch mal stehen gelassen wird, weil ein anderer schon aufgestiegen ist. Da heißt es dann: Nerven bewahren und cool bleiben. Gleiches gilt hier hin und wieder für Kinosäle und Filme.

Zum neuesten Skandalwerk Kim Ki-duks mit dem Titel „Moebius„, der außer Konkurrenz läuft, ist es schwer vorzudringen. Publikum und Industrie haben bei einigen Vorstellungen – ähnlich wie in Berlin – Vorrang. Erst danach dürfen sich Presse und andere Akkreditierte (übrigens auch Branchenfremde, wie Ingenieursstudenten oder Architekten) in die Säle boxen. Die Kapazitäten, einen zweiten Saal zu öffnen und aus einer Vorstellung eine Doppelvorstellung zu machen, gibt es leider nicht, denn der neue Kinopalast, der bereits 2011 eröffnet werden sollte, schlummert noch immer im Dornröschenschlaf mitten auf dem Festivalgelände. Nicht nur Berlin hat seine Traumschlösser. Probleme mit einem Asbest verseuchten Gelände und fehlende Gelder sollen Ursache des seit Jahren andauernden Baustopps sein. Für Kim Ki-duks unzensierte in Venedig gezeigte „Moebius„-Fassung hieß das heute: nichts zu machen. Die Ankündungen, sein neuer Film sei ein Ausmaß an Perversion, lockte viele Neugierige zumindest für einige Minuten ins Kino.

Die Alternative heißt: Mittag am Strand oder „Under The Skin“ von Jonathan Glazer (2004, „Birth„) mit Scarlett Johansson als männerverführender und -vernichtender Alien. Die Machtverhältnisse zumindest einmal in diesem Festival umgedreht, doch leider nicht für lang. Die Verfilmung des gleichnahmigen Romans von Michel Faber ist ebenfalls ein Ärgernis, besonders, da der Film visuell wirklich spannend startet. Der Trailer verspricht sehr viel mehr als der Film letztlich hält. Schon nach kurzer Zeit wechselt Glazer in eher naturalistischere Bilder und in eine tödlich langweilige, ins Nichts laufende, lächerliche Odyssee, die nach gefühlten fünf Stunden in einem mystisch aufgeladenen Wald endet. Als Video-Installation und gänzlich ohne Worte hätte Fabers abstrakte Geschichte, der übrigens ebenfalls eine gewisse Orientierungslosigkeit vorgeworfen wird, wohl besser funktioniert. Johansson kann den Film auch mit ihrer eher dünnen Performance nicht füllen. Im Kino ist es die absolute Zeitverschwendung.

Das gilt im übrigend ebenso für Terry Gilliams Festivalbeitrag „The Zero Theorem„. Schenkelklopfer-Humor trifft auf trashigen Travestiezirkus. Düstere Zukunftsvisionen, die noch im Meisterwerk „Brazil“ fantastisch und geschickt ausgearbeitet wurden, werden hier zum schlechten und komplett außer Kontrolle geratenen LSD- Trip, so meint man. Gilliams kotzt seine unausgegorenen Ideen fließbandartig aus, ohne sich die Mühe zu machen, sie in irgendeine Ordnung zu bringen. Der Cast schwimmt hilflos und unglaubwürdig in Scriptsegmenten mit, versucht das beste aus den Ansagen eines offenbar wildgewordenen Zirkusdompteurs zu machen und immer wieder purzeln neue blödsinnige Witze in den Film. Unvorhergesehene Budgetkürzungen seien für eine eher schnelle Produktionsabwicklung und offenbar jede Menge Improvisationen verantwortlich, darauf verweist die Produktionsfirma immer wieder, als ob sie sich entschuldigen müsse, weil sie längt weiß, wie schlecht der Film ist. Doch fehlendes Budget kann allein nicht verantwortlich sein für einen derartig schlecht zusammengenähten Film, das beweisen zumindest gerade in Deutschland für Furore sorgende No-Budget-Filme wie Kohlhaas – die Verhältnismäßigkeit der Mittel (Aaron Lehmann) oder Jakob Lass‘ Love Steaks.

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