Das Venedig-Blog 2013

Das Venedig-Blog 2013


Die Jury um Präsident Bertolucci kürte den Dokumentarfilm "Sacro GRA" von Gianfranco Rosi einstimmig (?) zum Sieger der 70. Filmfestspiele von Venedig. (c) La Biennale

Letzter Tag: „È finita la festa“

Mit absoluter Einstimmigheit vergeben wir den Goldenen Löwen. Kein Jurymitglied hat einen anderen Film vorgeschlagen. Ich habe bereits zu Beginn gesagt, dass ich eine Überraschung suche. Rosis Film ist nicht nur eine Überraschung, sondern vor allem eine One Man Show, in der es dem Regisseur gelingt, uns eine neue noch unbekannte Welt mit viel Stil zu eröffnen. Im Film „Sacro GRA“ nähert sich Rosi seinen Protagonisten mit fast franziskanischer Schlichtheit. Auch über den Dokumentarfilm „Errol Morris“ haben wir gesprochen und sogar darüber nachgedacht, seinem Protagonisten (Anmerkung der Redaktion: Donald Rumsfeld), den Preis für den besten Schauspieler zu geben. Es ist schön, dass man auch in Venedig daran denkt, Dokumentarfilme wertzuschätzen und diese sogar den Goldenen Löwen gewinnen. Das ist wirklich neu und mutig.“ (Bernardo Bertolucci über den Gewinner der 70. Mostra del Cinema)

Der Goldene Löwe also an die römische Dokumentation zum Leben am großen Autobahnring in der römischen Peripherie, betitelt als „Sacro GRA„, eine Art Wortspiel auf den „heiligen Gral“ und damit nach 15 Jahren wieder nach Italien. Das ausgerechnet dieser Film gewinnt, hat doch viele überrascht, nicht nur, weil einige Kritiker Bertoluccis Nähe zu Philippe Garrel, dem Regisseur des französischen Beitrags im Wettbewerb, als Vorteil für die Franzosen werteten, sondern auch, weil Rosis Film auf internationalem Level wohl keine besonders große Resonanz finden wird. Der Humor, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, wird im Ausland wohl selten so verstanden, wie von einem waschechten Italiener oder Römer.

Mysteriös vor diesem Hintergrund auch die Tatsache, dass sich ein Jurymitglied unkommentiert an diesem Abend nicht blicken ließ: Carrie Fisher (bekannt als Prinzessin Leia in „Star Wars„). Die Gerüchteküche hinter den Kulissen brodelte, ob es vielleicht doch keine so eindeutige Einstimmigkeit gegeben hätte. Wäre nicht das erste Mal auf einem Festival. Elena Cotta sorgt außerdem mit ihrer Performance im zweiten italienischen Wettbewerbsbeitrag „Via Castellana Bandiera“ dafür, dass auch der Preis für die beste Schauspielerin nach Italien geht.

der deutsche Regisseur Philip Gröning sicherte sich mit "Die Frau des Polizisten" den Großen Spezialpreis der Jury. (c) La Biennale

In einer Reihe mit Alexander Kluge (1966) und Fatih Akin (2009) steht nun Philip Gröning, der mit „Die Frau des Polizisten“ den Großen Spezialpreis der Jury entgegennimmt. Viel wurde diskutiert, über das manierierte Werk Grönings. Die 175 Minuten Spielfilmlänge und die etwas aufdringlichen Kapitel-Ein- und Ausblendungen konnten die Jury dennoch nicht davon abhalten, Grönings Werk auszuloben und einen der wichtigen Preise neben dem Goldenen Löwen nach Deutschland zu geben.

Insgesamt jedoch fällt der diesjährige Wettbewerb in Venedig eher dürftig und weniger als durchschnittlich aus. Was Festivaldirektor Alberto Barbera als risikofreudige Auswahl beschreibt, waren in der Hauptsache Filme, die entweder von schockierenden Familiendramen erzählten oder das Thema abusive Männlichkeit in unterschiedlichen Facetten ausloteten. Besondere Entdeckungen waren keine zu machen.

Besser als der Durchschnitt und mit dem großen Preis der Jury bedacht: Regisseur Tsai Ming Liang und sein Werk "Jiaoyou" ("Stray Dogs"). (c)William Laxton/Homegreen Films and Jba Production.

Dennoch stachen die weiteren Gewinnerfilme für beste Regie, beste Darsteller etc. meist etwas aus der Mittelmäßigkeit heraus. So gehen die Preise für das beste Drehbuch an Stephen Frears „Philomena„, ein in absolut klassischer Manier, präzise erzähltes Drama mit einer herausragenden Judy Dench. Über den großen Preis der Jury und damit den zweitwichtigsten Preis des Festivals, durfte sich Tsai Ming Liang für sein Werk „Jiaoyou“ („Stray Dogs„) freuen. Markenzeichen des Regisseurs sind die nahezu hypnotischen Bilder, mit denen er die Seelenzustände seiner Protagonisten versucht auf den Zuschauer zu übertragen.

Gleich zwei Preise, den für beste Regie (Alexandros Avranas) und besten Schauspieler (Themis Panou), sammelte der griechische Beitrag „Miss Violence“ ein. Erneut ein griechischer Film, der auf verstörende Weise von diktatorischen und grenzüberschreitenden Vätern erzählt. Viel Lob bekam der in der Sektion Settimana della Critica gezeigte Film „White Shadow“ des in Berlin und Los Angeles lebenden Regisseurs Noaz Deshe, eine deutsch-italienische Produktion, die ein super Anwärter für das Berliner Jahresend-Bestof-Festival Around The World in 14 Films wäre. Der unter anderem von Ryan Gosling koproduzierte, bildgewaltige Film beschreibt die grausame Hexenjagd auf Albinos in Ostafrika und gewann in Venedig den Preis für das beste Erstlingswerk, den Premio Luigi de Laurentiis.

Nach 35 Filmen und 3600 Minuten in zumeist unbequemen Kinosesseln und Mückenkammern enden die 70. Filmfestspiele an der Adria. Es bleibt zu hoffen, dass sich der ein oder andere Film auch in den Berliner Kinos blicken lässt.

SuT

1 2 3 4 5 6