Das Pornfilmfestival 2013 im Rückblick

Mehr Substanz, weniger Sperma


Jedes Wochenende verlässt Marc (rechts) geregeltes Leben auf der Suche nach der ultimativen Aufführung seiner Lieblingsoper "Don Giovanni". Foto: Pornfilmfestival Berlin

"Naked Opera": Jedes Wochenende verlässt Marc (rechts) geregeltes Leben auf der Suche nach der ultimativen Aufführung seiner Lieblingsoper "Don Giovanni". Foto: Pornfilmfestival Berlin

Sicher ist es kein Zufall, dass die acht Frauen in Lene Bergs Dokumentarfilm „Kopfkino“ (Deutschland, 2012) an der langen Tafel sitzen wie die Apostel des letzten Abendmahls. Unmöglich, alle Damen in einen Bildausschnitt zu zeigen und dabei nicht die aufwendigen Kostüme und Frisuren zu übersehen, den Tischschmuck, die falschen Wimpern. Regielösung: eine Kamera auf Schienen, die sich langsam von einem Tischende zum anderen bewegt – mal über der Kante, mal darunter. Gerade letztere Perspektive verdient besondere Aufmerksamkeit, denn hier präsentiert sich nicht nur spitzes, geschnürtes, gebundenes und vor allem hohes Schuhwerk, sondern auch Getier: ein brauner Windhund, der sich an die schmalen Fesseln der professionellen Züchtigerinnen schmiegt. Noblesse und schmutzige Geschichten – Berg liefert mit „Kopfkino“ einen recht dekadenten Beitrag. Und wie der Titel bereits verrät: Sex gibt es hier nicht in Echtzeit oder als zartrosa Indiz, die Sequenz setzt sich anhand einiger Stichworte für jeden Zuschauer wohl höchst individuell zusammen. Blutbad, Kotzen, Oberbefehlshaberin, Strick, Badewanne – fertig ist das Fetisch-Quintett.

Ähnlich vollmundig gestattet Marc Rollinger in „Naked Opera“ (Angela Christlieb, Luxemburg 2013) Einblicke in sein Leben zwischen „Don Giovanni“, dem eigens angelegten „metaphysischen“ Garten und Pornstar-Fantum (es gilt dem „übermenschlichen“ Jordan Fox). Scheinbar besessen von der Oper Mozarts und seinem Frauen-sammelnden Schwerenöter, reist Rollinger im Zweiwochentakt quer durch Europa, um sich die verschiedenen Inszenierungen anzusehen. Seine eigene Operette gibt er im Anschluss in einem schicken Hotelzimmer – selbstverständlich mit dem Besten, was der lokale Escort-Service im Programm hat. Und auch Rollinger führt präzise Buch über jede Begegnung, wie der große Don Giovanni. Christlieb begleitet ihren mal zickigen, dann vergnügten (aber immer auf seine Art großartigen und nie um einen halbseidenen Aphorismus verlegenen) Protagonisten, der das Projekt der Regisseurin dabei derart korrumpiert, dass quasi im Vorbeigehen ein nicht zu verachtender Kommentar zur Dokumentarfilmpraxis an sich entsteht. Wenig Zweifel, dass sich Christlieb als Emigholz/Mikesch-Studentin diesem vermeintlichen Nebenprodukt nicht bewusst gewesen wäre. Wen das allerdings alles nicht überzeugen konnte, fand vielleicht an den Zwischensequenzen (Joseph Loseys „Don Giovanni„-Verfilmung von 1979) etwas Freude. Oder auch, wie einige Zuschauerreaktionen verrieten, nicht.

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