Interview mit Berlinale-Panorama Leiter Wieland Speck

Eine Intuition, was du dem Publikum zumuten kannst


Wieland Speck, Berlinale 2009

Wieland Speck, Berlinale 2009

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit würdigte ihn im vergangenen Jahr bei der Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz als „ein cineastisches Allround-Talent im besten Sinne“. Panorama-Leiter Wieland Speck ist seit über drei Jahrzehnten bei der Berlinale, wo er einst als Assistent von Manfred Salzgeber begonnen hat, nachdem er als Schauspieler anfing, Politvideo- und Videokunst-Macher war, beim Film als Regisseur, Kameramann, Cutter und Produzent arbeitete und das heutige Moviemento leitete.
Im Interview erklärt er, warum man Kurator nicht lernen kann, geht ausführlich auf das aktuelle Panorama-Programm ein und kritisiert die homophobe politische Klasse.

Herr Speck, Wie haben Sie Ihre Liebe zum Kino entdeckt?
Wieland Speck:
Das ging sehr früh los. Meine Tante hatte ein Landgasthaus. Ich selbst bin in der Stadt, in Freiburg im Breisgau, aufgewachsen, war aber in den Ferien immer im Elternhaus meiner Mutter in dem Ort, wo ihre Schwester das Landgasthaus betrieb. Im ersten Stock war an jedem Wochenende Kino. Dort habe ich die Stühle aufgestellt, die Leinwand runter gekurbelt und in der Kindervorstellung als sechsjähriger Karten abgerissen. Das war ein ganz frühes Kinoerlebnis. Die Erwachsenenfilme, die wir nicht gucken durften, sahen meine zwei Jahre ältere Cousine und ich durch einen Schlitz im Getreidespeicher.

Als Schauspieler haben Sie sogar noch mit Marlene Dietrich gearbeitet, oder?
Gearbeitet kann man so nicht sagen. Als ich in den 70er-Jahren Schauspieler werden wollte, landete ich als Kleindarsteller in „Just A Gigolo“ mit Marlene Dietrich und David Bowie. Ich war einer der Gigolos und stand neben David Bowie, was mich total beeindruckt hat. Ich gehöre zu der Generation, deren Held er zuerst war, in den späten 60ern. Ich bin zwar in einer Szene mit Marlene Dietrich, habe sie aber nie gesehen. David Bowie im Übrigen auch nicht. Die Szene wurde in ihrer Pariser Wohnung gedreht, aus der sie zu der Zeit nicht mehr raus ging. Von daher habe ich nicht mit ihr gearbeitet, bin aber im Gegenschnitt mit ihr zu sehen, was für einen Schauspieler eine tolle Sache ist.

Ein Filter für den Rest der Menschheit sein

Wie wird man Sektionsleiter der Berlinale?
Das ist vollkommen unberechenbar. Es gibt junge Leute, die sich bei uns melden und als Kurator arbeiten wollen. Denen sage ich, dass man Kurator nicht werden kann. Kurator ist ein Seiteneinstieg, nachdem man alles Mögliche gemacht hat. Ein junger Mensch kann nicht lernen ein Filter für den Rest der Menschheit zu sein. Hier laufen 3.000 Filme durch, aus denen ich 50 rausfiltere. Nachher stehe ich vor 100.000 Menschen, die in den zehn Tagen als Publikum kommen, und vertrete die. Das lernt man in keinem Buch. Man entwickelt Intuition, die auf Erfahrung aufbaut. Ich würde vorschlagen, sich in dem künstlerischen Bereich, für den man sich interessiert, ein Leben zu machen, um dann Kurator zu werden.

Welche Ihrer beruflichen Stationen waren prägend für Ihre Kuratorentätigkeit?
Ich habe Kino gemacht und wusste, wir zeigen die Filme, die wir toll finden in unserem Off-Off-Kino. Das Publikum, das zu uns kam, hat unserer Auswahl vertraut. Andererseits mussten wir natürlich anlocken, damit sie uns in Zukunft vertrauen würden. Man muss eine Intuition dafür entwickeln, was du dem Publikum zumuten kannst. Das Panorama ist deshalb seit Jahren erfolgreich, weil es Herausforderungen ans Publikum stellt. In Berlin haben wir ein super Publikum, das Herausforderungen mag. An anderen Orten musst du spielen, was gefällt. Das hat mich trotz Angeboten in den zurückliegenden Jahrzehnten, in Berlin gehalten. Ich habe mit dem Blick auf das Publikum immer abgelehnt.

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