10. achtung berlin – Retrospektive „Berlin im Film der Neunziger Jahre“

RP Kahl: Ich misstraue der Improvisation


RP Kahl, Foto: Andreas Sohn

RP Kahl, Foto: Andreas Sohn

Am 10. April eröffnet achtung berlin seine Retrospektive „Berlin im Film der Neunziger Jahre“ im Babylon. Die Werke sollen aus verschiedenen Blickwinkeln vom besonderen Lebensgefühl einer Stadt in Aufbruchstimmung erzählen. RP Kahl ist mit „Angel Express“ vertreten. Im Interview berichtet der Berliner Filmemacher darüber, wie es ist, zum ersten Mal in einer Retrospektive zu laufen, das Berlin der 1990er-Jahre und die Zusammenhänge seiner Filme.

RP, dein Film „Angel Express“ wird beim diesjährigen Festival achtung berlin im Rahmen einer Berlin-im-Film Retrospektive präsentiert und hat danach seine Web-Premiere auf realeyz.tv. Man mag kaum glauben, dass bereits sechzehn Jahre vergangen sind, seit der Film entstanden ist. Wie fühlt es sich für dich an?
RP Kahl:
Klar merkt man, dass man älter geworden ist und wenn nun ein Film von mir zum ersten Mal in einer Retrospektive läuft – was natürlich großartig ist – heißt das natürlich auf der anderen Seite, dass man nicht mehr zu den jungen Wilden aus dem Underground gehört, sondern irgendwie schon lange dabei ist. Ich bin sehr gespannt darauf, wie der Film innerhalb des Programms wirkt, ob er mit den anderen Filmen eine Einheit ergibt oder ob da nur wenige Berührungspunkte sind. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich viele der Beiträge der Retrospektive noch gar nicht, auch deshalb, weil ich in den 1990er-Jahren einfach wahnsinnig viel gearbeitet habe und unterwegs war. Ich kann mir „Angel Express“ heute noch sehr gut anschauen, ohne im Kinosessel versinken zu wollen, merke aber, dass er wie aus einer ganz fernen Zeit zu kommen scheint, obwohl das Ganze erst eine reichliche Dekade her ist.

Wie war die Resonanz, als „Angel Express“ ins Kino kam?
Die Erwartungen an den Film waren damals sehr hoch. Das war mir zu dem Zeitpunkt gar nicht so richtig bewusst. Ich hatte gerade Oskar Roehlers „Silvester Countdown“ produziert, spielte auch die Hauptrolle, und der Film wurde ein Riesenerfolg bei der Kritik und bei Festivals. „Angel Express“ war anders und trotzdem gab es eine klare Verbindung zwischen den Filmen. Trotz des großen Presse-Echos und der vielen Festivals war „Silvester Countdown“ nur mäßig erfolgreich im Kino. Ähnlich war es mit „Angel Express„, der im Kino nicht wirklich durchstarten konnte. Manchmal glaube ich, dass Filme, die versuchen, einen Zeitgeist einzufangen, immer im Kino scheitern müssen. Sie kommen entweder zu früh oder zu spät. Wenn man „Angel Express“ als eine Art Techno-Film sieht, dann hat es sehr lange gedauert, bis mit „Berlin Calling“ ein Film dieses Genres sein Publikum finden konnte. Lustigerweise war ich bei „Berlin Calling“ dann wieder als Schauspieler dabei. Die Aufmerksamkeit in der Branche und der Öffentlichkeit war aber bei „Angel Express“ außerordentlich gut. Es gab wirklich viele großartige Reviews, die ich heute noch gern durchblättere. Aber daneben gab es auch wüste Verrisse und manchmal sogar ganz persönliche Beleidigungen. Das hatte mit der Zeit und dem Bild meiner Person in der damaligen Öffentlichkeit zu tun.

Die Wahrnehmung veränderte sich aber…
Interessant war für mich, dass, als ich 2011 den Director’s Cut von „Angel Express“ herausbrachte, fast durchweg sehr positive Kritiken kamen. Die Kritiker konnten jetzt lässiger sein. Das hat damit zu tun, dass es mich immer noch gibt, die Großfresse also durchgehalten hat. Ein bisschen älter und gesetzter bin ich geworden, aber klar freut es mich, dass zum Beispiel eine Filmredakteurin einer großen wichtigen Wochenzeitschrift vor Kurzem zu mir kam und sagte: „RP, ich habe den „Angel Express Director’s Cut“ gesehen. Ich hatte damals Unrecht mit meiner Kritik. Der Film ist richtig gut. Sorry für den Verriss von damals.“ Woran ich mich gerne erinnere, ist unser wirklich wildes Herausbringungskonzept zwischen Underground und Größenwahn. Das ging damals Ende der 90er, es wurde fast schon erwartet, dass man nicht „business as usual“ macht. Wir eröffneten zeitgleich zum Kinostart die „Angel Express“ Lounge, so eine Art temporären Club, mit dem wir auch auf Tournee gingen. An der damals sehr berühmten Plakatwand Rosenthaler Straße, Ecke Neue Schönhauser Straße prangte in großen Lettern „Ich glaub ich brauch was“. Winzig klein dann der Hinweis auf den Film „Angel Express„. Davon gibt es von einem Fotokünstler auch ein nicht unbekanntes Bild: Eine Brachfläche in Berlin-Mitte mit diesem Schriftzug auf dem Plakat. Das Bild ist für mich leider viel zu teuer, falls also jemand mal eine Geschenkidee für mich braucht… Aber um noch mal auf deine Frage zurück zu kommen: „Angel Express“ verkaufte sich gut ins Ausland, wurde vom Privatfernsehen angekauft und die Erstauflage des Director’s Cut ist schon ausverkauft. Letztlich ist also alles für mich sehr gut ausgegangen.

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