Interview mit Filmemacherin Yael Reuveny zu „Schnee von gestern“

Eine ganz spezielle Anziehung zwischen Israelis und Deutschen


"Schnee von gestern"-Regisseurin Yael Reuveny. (c) Dok Leipzig

„Schnee von gestern“-Regisseurin Yael Reuveny. (c) Dok Leipzig

Bereits in ihrem ersten Dokumentarfilm „Erzählungen vom Verlorenen“ („Toldot Ha’Menutzachim„, 2009) begab sich die israelische Filmemacherin Yael Reuveny auf die Suche nach dem im Holocaust verloren gegangenen Bruder ihrer Großmutter. Ihr erster Langfilm „Schnee von gestern“ („Farewell, Herr Schwarz„) greift das Thema erneut auf. Er feierte beim 56. DOK Leipzig seine Deutschlandpremiere und gewann wenig später den Dialogpreis für die Verständigung zwischen den Kulturen beim 23. Film Festival Cottbus. Reuveny lebt wie viele Israelis ihrer Generation seit mehreren Jahren in Berlin. In „Schnee von gestern“ zeigt sie, wie Familiengeschichten mehrere Generationen vereinnahmen und sucht eindrucksvoll nach einem Weg, das Geschehene hinter sich zu lassen. Im Interview berichtet sie, wie sie ihr Thema fand, warum Berlin Israelis fasziniert und welche Witze sie nerven.

Yael, 1995 habt ihr das erste Mal von eurer Verwandtschaft in Deutschland gehört. Allerdings habt ihr euch erst sehr viel später damit auseinandergesetzt. Warum?
Yael Reuveny:
Wir haben uns erst richtig damit auseinandergesetzt, nachdem meine Großmutter gestorben ist. Vielleicht musste sie erst sterben, damit wir frei mit dem Thema umgehen können. Es war meine Mutter, die immer wieder nachhakte und meinte, als ich bereits an der Filmhochschule war, warum ich keinen Film über die Familie in Cottbus mache. Viele Jahre lang war meine Antwort immer: Da gibt es für mich keinen Film, damit will ich mich nicht beschäftigen. Erst als ich 2006 nach Berlin gezogen bin, habe ich realisiert, dass ich daraus einen Film machen muss. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Viele von den Charakteren in dem Film habe ich nicht gekannt, bevor ich anfing zu filmen. Ich war vorher zum Beispiel noch nie in Schlieben. Ich wusste nicht, dass der Ort an dem der Bruder meiner Oma lebte, auch der Ort seiner Gefangenschaft war.

Gerade der erste Teil deines Films wirkt wie ein Krimi. Besonders die Suche nach dem Großvater, der im Holocaust verschollen ist. Als Zuschauer will man unbedingt gemeinsam mit dir eine Antwort finden.
Ja, aber man findet sie nicht. Die Frage „Was ist passiert?“, die mich anfänglich beschäftigt hat, war letzten Endes die, die mich am wenigsten interessiert hat. Warum sie sich nicht getroffen haben, werden wir nie herausfinden. Es wurde für mich viel wichtiger herauszufinden, wie beide Seiten der Familie von diesem Treffen, das nie stattgefunden hat, beeinflusst werden.

In Tel Aviv gibt es schon seit einiger Zeit diesen Berlin-Hype. Viele junge Israelis zieht es hier her. Aber auch junge Deutsche sind von Israel fasziniert. Woran liegt das?
Es gibt eine ganz spezielle Anziehung zwischen Israelis und Deutschen. Sie haben Vieles gemeinsam. Einerseits gibt es dieses hippe Aufeinandertreffen, was sehr oberflächlich sein kann. Andererseits ist da das Wissen um die gemeinsame Geschichte, das dem Ganzen Tiefe verleiht. Es findet zwar alles in der Gegenwart statt, aber die Vergangenheit hallt wie ein Echo nach. Viele Deutsche finden Israel sehr offen. Andersherum fühlen sich Israelis unwohl, wenn sie nach Deutschland kommen. Für viele ist es unangenehmer, Deutsche in Deutschland zu treffen, als in Israel.

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