10. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen

Beziehungsdramen am deutschen Kies-Strand



Das Kino war nicht in Gänze gefüllt während der „Deutschboden“ –Vorstellung, das ändert sich schlagartig, als das Klatschometer beginnt: wer das Publikum vorher nur erahnt hat, sieht es spätestens jetzt. Bis auf den letzten Platz ist dieses neue Veranstaltungsformat ausgebucht. Der Applaus für jeweils acht verschiedene, kurze Filmausschnitte entscheidet hier darüber, welcher der Publikumslieblinge der letzten Jahre geguckt wird. Der Applaus sagt: Liebe in Paris schlägt Kühe im Sterbehospiz, Tourette schlägt Anna Loos auf der Schweizer Alm und rauchende Rollstuhlfahrer. Die Zynikerin in mir ist sich sicher, dass man den Deutschen gerade beim Klatschen ein bisschen in die Seele gucken konnte. Es gewinnt also der Filmausschnitt mit den meisten Lachern, Andi Rogenhagens Tourette-Syndrom-Komödie „Ein Tick anders“ (2011). Jasna Fritzi Bauer spielt die 17-jährige überzeugend, ihre Ticks, aber auch die Momente, in denen sie sich daheim und wohl fühlt, ticklos und normal (was immer das auch ist), also bei ihrer Familie und ihrer Oma. Überhaupt: das Oma-Enkelin-Beziehungskonstrukt ist am gelungensten, schön komisch und anrührend. Wäre doch der Rest genauso. Stattdessen dominieren schlussendlich der hanebüchene Plot, das karikaturenhafte Schauspiel sowie plötzliche Gesangseinlagen. Um mich herum aber lacht es laut und befreit – „Ein Tick anders“ gefällt. Ich bin scheinbar nicht das Publikum.

Das bleibt auch so während des Wettbewerbsbeitrags „Dyslexie„, der im Anschluss läuft, und den die Festivalbesucher mit großem Wohlwollen goutieren. Auf den Stimmzetteln, die am Samstag gezählt werden, erspähe ich dazu passende, sehr gute Bewertungen. Ich habe da wohl wieder etwas anderes gesehen. Der Barmann Phillip (Christoph Bach) lebt ein unbekümmertes Junggesellenleben, bis plötzlich seine Exfreundin stirbt und ihr Tod ihn mit der Existenz seiner 6-jährigen Tochter Lilly konfrontiert. Als wäre das nicht genug: Auch mit seiner Dyslexie, denn Phillip ist Analphabet. Es gibt eine erschreckende Anzahl von 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die das Lesen und Schreiben kaum beherrschen – der Film schlägt also in die richtige Kerbe. Doch „Dyslexie“ fällt durch seine unglaubwürdige Storyline, hölzernes Schauspiel sowie ein schmonzettenhaftes Quasi-Happy-End auf und nicht durch eine differenzierte Betrachtung eines gesellschaftlichen Phänomens. Interessanter wäre hier allemal das Psychogramm gewesen – der Versuch, die familiären, hierarchischen Strukturen und inhärenten Leistungsanforderungen, die Philipp augenscheinlich prägen, näher zu untersuchen.

Am Freitag wird die Grenze von nervig zu ärgerlich schließlich durchbrochen. „Wolfskinder“ läuft ebenfalls im Wettbewerb und greift ein hochsensibles Thema auf, nämlich die Biografien von so genannten Wolfskindern: Dabei handelte es sich um elternlose, heimatlose Kinder aus Ostpreußen am Ende des Zweiten Weltkrieges, die sich allein durchschlagen mussten und oft versuchten, in das Baltikum zu flüchten. Die Zustände waren denkbar rabiat und grausam: Immer auf der Suche nach Essbaren, nach einer Bleibe, oft auf der Flucht, immer in Angst. Das Thema der Vertreibung ist ein schwieriges. Oft mischen sich hier seltsame Ressentiments und geschichtsrelativistische Tendenzen.

Hier einige Eindrücke …

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