BFF On The Road: Tagebuch zur 71. La Biennale Di Venezia

Der Venedig-Blog 2014


Tag 3: Familienpackung

Francesco Munzis Wettbewerbsfilm "Anime Nere" erzählt die Geschichten, dreier grundverschiedener Brüder. © la Biennale di Venezia

Francesco Munzis Wettbewerbsfilm „Anime Nere“ erzählt die Geschichten, dreier grundverschiedener Brüder. © la Biennale di Venezia

Der Zufall will es, dass auch in diesem Jahr der dritte Festivaltag den Blick auf Familiendramen richtet. Während im letzten Jahr Philip Gröning mit seinem deutschen Wettbewerbsfilm „Die Frau des Polizisten“ für Diskussionsstoff an der Adria sorgte, sind es diesmal gleich drei Filme in drei Sektionen zum Thema.

Den Anfang macht ein italienischer Wettbewerbsfilm mit einer Geschichte um drei Brüder, die nichts als ihr Blut vereint. Drei Brüder, drei Lebensmodelle, drei Vorstellungen von Verbrechen und Tod, eingebettet in den Mafiaalltag der ‚Ndrangheta im südlichen Kalabrien. Francesco Munzis „Anime Nere“ (Schwarze Seelen) – so der bildhafte Titel des Filmes – sind es, die den abgebunden Süden bevölkern. Es ist eine archaische Kultur, die in den staubigen Dörfern gelebt wird, wo noch immer eher Clanstrukturen regieren und Väter ihre Töchter noch selbst in fruchtbare Beziehungen bringen. Bis heute betrachtet Italien seinen Süden als eine Art Krebsgeschwür, das es auszutrocknen gilt. Hier regiert die Wildnis in den Köpfen der Menschen und die reißt auch die Brüder auseinander.

Den Rahmen für den Wettbewerbsbeitrag liefern ein kroatischer und ein iranischer Film. Wobei der kroatische Beitrag „Takva su pravila“ („These are the rules„) als echte Entdeckung gelten kann. In Ognjen Sviličićs Film herrscht Eiszeit. Ivo kommt eines Morgens nach Hause und ist offenbar von jemandem böse verprügelt worden. Nur kurze Zeit später ist er auch schon aus dem Leben gerissen. Was den Film so herausragend macht, ist sein Verzicht auf übertriebenen Pathos. Hier regt sich kein Gefühl, kein Gesicht verzieht sich schmerzhaft. Das blanke Entsetzen zeigt sich in der Schockstarre seiner Protagonisten, die routiniert, aber wie geistig abwesend ihren Alltag weiterleben. Sie stehen im wahrsten Sinne des Wortes neben sich. Auf einen erlösenden Wutausbruch oder verzweifelt zur Schau gestellte Trauer wartet der Zuschauer 78 Minuten vergebens. Fantastisch und mit minimalistischen Mitteln erzählt der kroatische Regisseur von den großen und überwältigenden Gefühlen, die sich wie ein dunkles Nichts über einen legen und nicht zu greifen sind.

Das Debüt des Iraners Nima Javidi, „Melbourne„, hingegen kommt leicht absurd daher. Eine Geschichte um ein Paar, das 93 Filmminuten lang versucht zu vertuschen, dass sie ein totes Baby in der Wohnung haben. Ausgerechnet am Tag ihrer Ausreise nach Australien, in der Wohnung werden die letzten Sachen und Möbel gepackt, bevor es zum Flughafen geht, braucht die Nachbarin Hilfe und jemanden, der ihr Baby für einige Stunden beaufsichtigt. Das Paar sieht kein Problem darin und nimmt die Verantwortung an. Dumm nur, wenn das Kind die Tapetenwechsel nicht übersteht. Aus welchem Grund der Regisseur Nima Javidi mit dem Großmeister der Erzählungen Asghar Farhadi verglichen wird, ist mir ein Rätsel. Außer ein oder zwei Wendungen im Film, die an das psycho-dramatische Strickmuster von „Le Passe“ erinnern, kommt der Plot eher zäh, zu konstruiert und mit eher flachen Dialogen daher. Einzig das Ende ist überraschend und macht einiges an Absurditäten im Drehbuch wieder wett.

An diesem dritten Tag in Venedig sind es keine Filme, die auf die großen Gefühlsexplosionen setzen, sie implodieren leise aber dafür unerträglich hart.

SuT

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11