BFF On The Road: Tagebuch zur 71. La Biennale Di Venezia

Der Venedig-Blog 2014


Tag 7: Kontrastreiche Filmlektionen

Regisseur Roy Andersson stellt in Venedig "A Pigeon Sat On A Branch Reflecting On Existence" im Wettbewerb vor. © la Biennale di Venezia

Regisseur Roy Andersson stellt in Venedig „A Pigeon Sat On A Branch Reflecting On Existence“ im Wettbewerb vor. © la Biennale di Venezia

Dem Kino fehlt heute die visuelle Kraft und Qualität. Die meisten konzentrieren sich auf das Storytelling. Filme sollten aber eine ähnliche Qualität wie Gemälde haben, wie ein Rembrandt oder ein Brueghel, die man sich eine Ewigkeit ansehen und wo man so viele Dinge entdecken kann, ohne dass man sich langweilt.“ (Roy Andersson)

Der siebte Tag erteilt dem Publikum eine Lektion in Sachen Film und seine künstlerischen Mittel. Roy Anderssons „A Pigeon Sat On A Branch Reflecting On Existence“ bringt endlich etwas Farbe in den Wettbewerb. Tableauartig sinniert der bildgewaltige Visionär über das Leben und das Menschsein im Gestern und Heute. Vergeblich versucht der Zuschauer dabei die einzelnen Kapitel dieses ausschließlich in Totalen aufgenommenen Filmbilderbuches zu einer Geschichte zusammenzufügen. Andersson steht beispielhaft für die Filmemacher, die ausschließlich auf das Medium Bild setzen und nicht daran interessiert sind, eine Geschichte zu erzählen. Inspiriert durch die Epoche der Neuen Sachlichkeit und Otto Dix, wie der Regisseur erklärt, wollte er im Stil der Historienmalerei Geschichten aus der Menschheit, der vergangenen und gegenwärtigen nachzeichnen.

Ungünstig wird es da, wo der Zuschauer keine Ahnung hat, was er da eigentlich sieht. Beispielsweise im Falle der assyrischen Orgel, einem Folterinstrument der Assyrer und eines sizilianischen Prinzen im 6. Jahrhundert. Vier Jahre brauchte der Schwede, um seinen Film fertig zu stellen. Kein Wunder, denn für jede Szene brauchte er im Durchschnitt ein bis zwei Monate. Das Ergebnis ist ein Film, der beinahe als moderne Form des Zombiefilmgenres durchgehen könnte. Lebende Tote, ohne jede Gefühlsregung in ihren starren, weißen Gesichtern, kontemplieren über fehlendes Geld, Schulden, den Tod oder die Wochentage, sind die Stellvertreter für die Malaisen der Welt. Wie ein Gedicht, das als Fragment im Zentrum des Filmes steht und zu gegebener Stelle kommentiert wird, liest sich Anderssons Werk. Jede Szene wird quasi zum Vers, den der Regisseur aber mit seinem ganz eigenen Humor fast immer in einen Witz verkehrt. Surreal und fremd und gleichzeitig so unglaublich klar und poetisch inszeniert er diesen Leinwandbildband. Mit dem Ziel, den Film noch immer dechiffrieren zu wollen, verlässt der Zuschauer geblendet und dennoch unbefriedigt den Kinosaal.

Kritikerliebling Hong Sang-soo enttäuscht mit "Jayueui onduk" ("Hill of Freedom") im Programm Orizzonti. © la Biennale di Venezia

Kritikerliebling Hong Sang-soo enttäuscht mit „Jayueui onduk“ („Hill of Freedom“) im Programm Orizzonti. © la Biennale di Venezia

Noch einen Schritt weiter geht Kritikerliebling Hong Sang-soo, der nur kurz darauf seinen Film „Jayueui onduk“ („Hill of Freedom„) im Programm Orizzonti zeigt. Der Koreaner sieht sich gern als Formalist und beschreibt seinen amateurhaft aussehenden Stil als Suche nach der Struktur. Für den Laien wirkt jeder seiner Filme, wie eine Aneinanderreihung von schlampig und hastig gedrehten Filmszenen, in denen die Protagonisten dilettantisch und ungelenk von einem naiven und banalen Dialog zum nächsten stolpern. Der Filmemacher, der dafür bekannt ist, ohne Skript zu arbeiten und seine Dialoge erst am Morgen vor Drehbeginn zu schreiben, beschreibt seine Herangehensweise wie folgt: „Manchmal habe ich keine Idee, wovon der Film handeln soll. Manchmal denke ich nur über den Effekt nach. Ich entwerfe keine Story. Ich will nichts erzählen, sondern nur sehen, was passiert.“

Die Basis seines in Venedig präsentierten Films bildet ein Stapel chronologisch geordneter Liebesbriefe, die durcheinander geraten. Hong Sang-soo schaut im Anschluss zu, wie die Briefe, die nun anders zusammengesetzt sind, in einer anderen Chronologie die Möglichkeit eines anderen Lebens beschreiben. Netter Ansatz, wenn nur das Medium stimmen würde. Visuell hat der Koreaner nichts zu bieten. Seine Kameraeinstellungen scheinen genauso wenig Beachtung zu finden und zufällig gewählt, wie das gesamte Konzept des Filmes. Mit seiner nihilistischen Arroganz könnte der Filmemacher geradezu als Paradebeispiel des Mottos: „Video Kills The Cinema“ stehen. Eine leere Leinwand tut es in diesem Fall vielleicht auch.

Am Ende des Tages stehen beide Regisseure für zwei Extreme in der Filmkunst, die sich nicht in Stilfragen erschöpfen, sondern letztlich auch eine Kunstform der Kommunikation ist und als solche in das Gespräch mit seinem Publikum suchen sollte.

SuT

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