BFF On The Road: Tagebuch zur 71. La Biennale Di Venezia

Der Venedig-Blog 2014


Tag 8: Stadt und Land

Drei Tage vor Festivalende lichtet sich der monochrome Schleier plötzlich. China und die Türkei entpuppen sich als potentielle Anwärter auf einen der Löwen. Beiden gemeinsam: das Thema Schuld. „The faults are mine, the crimes are mine, the sins are mine“ heißt es im Abspann des türkischen Beitrags „Sivas„. Kaan Müjdecics Wettbewerbsfilm erzählt vom rauen Leben in der kargen Landschaft Anatoliens. Hier dominiert die archaische Kultur einer männerdominierten Gesellschaft. Annehmlichkeiten, die modernen Großstädtern zur Verfügung stehen, sind dort fremd. Regelmäßig ausgetragene Hundekämpfe legen hier die soziale Rangordnung fest. Im Zentrum von Müjdecics parabelartiger Geschichte stehen Sivas und Aslan, beide Kämpfer mit Biss. Der eine ein Kampfhund, der andere ein 11-Jähriger (zauberhaft gespielt von Laienschauspieler Dogan Izci), der ebenso wie sein Hund früh gelernt hat, Zähne zu zeigen.

Müjdecic „Sivas“ erinnert in seinem Wesen an Truffauts „Le quatre cent coups“ oder Hanekes „Das weiße Band„. Es ist ein kleiner und vielleicht sogar unscheinbarer Film, der sich aber mit leicht moralischem Unterton, seinen großartigen Landschaftsaufnahmen und nicht zuletzt durch seinen herausragenden Protagonisten Gehör verschafft.

Ein Problem aber könnte dem Film zum Verhängnis werden, seine italienischen Untertitel. Die waren so schlecht, dass das Publikum schon nach wenigen Minuten begann zu stöhnen und an anderer Stelle sich, ob der Absurdität der gelesenen Titel, vor Lachen kaum noch halten konnte. Leider ist das in diesem Jahr kein Einzelfall. Immer wieder gibt es Beschwerden über die unsägliche Untertitelung, die den Anschein mache, als wären die Originaldialoge nur kurz durch den Google-Translater geschickt worden.

Ein Lichtblick im Wettbewerb:  Wang Xiaoshuais "Red Amnesia" (Originaltitel: "Chuagru Zhe"). © la Biennale di Venezia

Ein Lichtblick im Wettbewerb: Wang Xiaoshuais „Red Amnesia“ (Originaltitel: „Chuagru Zhe“). © la Biennale di Venezia

Der zweite Lichtblick im Programm ist Wang Xiaoshuais („Beijing Bycicle„) Film „Red Amnesia“ (Originaltitel: „Chuagru Zhe„/ „Der Eindringling„). Der Film ist der dritte Teil einer Trilogie, zu der die Filme „Shanghai Dreams“ und „Wo 11“ gehören. Wang Xiaoshuais, der aus Gründen des Berufsverbotes nach seinem Film „The Days“ („Dongchun de rizi„) unter dem Pseudonym „Wu Ming“ – zu Deutsch: „Namenlos“ – weiterarbeitete, konzentriert sich auch in seinem neuen Film auf Geschichten, die die Auswirkungen der chinesischen Kulturrevolution in den 60er Jahren beschreiben.

Deutlich fällt die Kritik Xiaoshuais an einer Gesellschaft aus, in der nur wenigen das Privileg vorbehalten ist, in der Stadt ihr Glück zu suchen und dem harten Fabrikleben außerhalb der Stadt, in ländlichen Vororten zu entfliehen. Protagonistin des Films ist die sture Witwe und Mutter Deng, eine Frau, die sich gern in das Privatleben ihrer Söhne einmischt und allmählich zum Problem wird. Als Deng mysteriöse Anrufe erhält, tauchen Geister der Vergangenheit auf und mit ihnen kehrt das Wissen um eine alte Schuld zurück.

Lange lässt der chinesische Filmemacher sein Publikum im Dunkeln, legt seine Geschichte um Schuld und Sühne nur langsam und scheibchenweise frei. Anders als die meisten Beiträge im Wettbewerb schaffen es „Sivas“ und „Red Amnesia„, ihr Publikum zu überraschen und Geschichten zu erzählen, die noch eine Weile nachwirken.

SuT

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