Interview mit Joshua Oppenheimer zu „The Look Of Silence“

Oppenheimer: Mir wurde sehr häufig mit dem Tod gedroht


Regisseur Joshua Oppenheimer hat mit seinen beiden Dokus Indonesien verändert. Foto: Wolf

Regisseur Joshua Oppenheimer hat mit seinen beiden Dokus Indonesien verändert. Foto: Wolf


Joshua Oppenheimer hat mit „The Act Of Killing“ und „The Look Of Silence“ (Film-) Geschichte geschrieben. Die beiden Dokus gehen in bewegenden Bildern dem indonesischen Genozid auf den Grund. Im Interview berichtet der Regisseur darüber, wie sein Protagonist das Werk beeinflusste, zieht einen Vergleich zu den deutschen Nazis und spricht über die Rolle der USA.

Mister Oppenheimer, Ihre Filme „The Act Of Killing“ und „The Look Of Silence“ thematisieren eine vom Genozid in den 1960er-Jahren traumatisierte Gesellschaft Indonesiens. Sie spüren den Tätern nach, lassen die sich selbst entlarven und konfrontieren sie sogar mit ihren Opfern. Wie schwierig ist es, Mördern gegenüber zu stehen?
Joshua Oppenheimer:
Es ist ganz leicht sich denen zu stellen, wenn man sie als Monster betrachtet oder als Böse verflucht. Mörder werden vor Gerichte gestellt und verurteilt, das ist das Ende der Geschichte. Diese Wahrnehmung führt aber zur falschen Fährte. Anfangs dachte ich, dass ich nach Monstern suche, was meint, sie zu verurteilen. Ich tat das genau so, wie wir alle das tun, wir sagen uns, das sind die Monster. Mit denen habe ich nix zu tun. Das beruhigt uns. Aber ich bin jedes Mal auf Menschen und nicht auf Monster getroffen. Alle Täter, die ich getroffen haben, waren menschlich, hatten Sorgen und Kummer. So verstand ich, dass wir alle, unter gewissen Umständen, Mörder sein könnten.

Denken Sie das wirklich?
Absolut. Wer das in Deutschland nicht erkennt, hat nicht ausreichend über die eigene Vergangenheit nachgedacht und denkt nicht logisch. Jeder Mörder ist ein menschliches Wesen, also könnten wir alle Mörder sein. Genau wie jeder Stuhl ein Möbelstück ist, das bedeutet aber nicht, dass jedes Möbelstück ein Stuhl ist. Die Menschen konnten nicht glauben, dass ihre Eltern und Großeltern Monster sind, die denken, dass ihre Eltern und Großeltern wie sie sind. Das hat mich dazu gezwungen, die Hoffnung aufzugeben, dass ich mich fundamental von denen unterscheiden würde.

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Was macht das mit Ihnen?
Das Beängstigende ist: Wenn ich anderswo aufgewachsen wäre, in deren Familien, in den 1950er Jahren, in Indonesien… dann würde ich hoffen, andere Entscheidungen gefällt zu haben. Ich weiß, wie viel Glück ich habe, dass ich das nie herausfinden werde. Das hinterfragt die Teilung der Gemeinschaft in Die und Wir. Es geht darum, zu verstehen, wie Menschen dazu fähig sein können, Böse zu werden. Wie Menschen mit ihrer Schuld leben können. Um die Konsequenzen für die Gesellschaft zu verstehen, müssen wir die Menschen treffen, die für den Genozid verantwortlich sind.

Wie nahmen Sie diese Orte wahr, an denen gemordet wurde?
Ich war 2001 zum ersten Mal in Indonesien und 2004 zum ersten Mal am Snake River, wo Täter so taten, als seien sie stolz auf das, was sie getan haben. Ich denke, dass sie nur so tun als wären sie stolz. Sie zeigten mir diesen Ort, an dem 10.500 Menschen getötet wurden. Sie gestanden, dass sie Ramli getötet haben, was ich bis dahin nicht wusste. An dem Tag brachte ich zwei Täter zusammen dort hin, die nichts von einander wussten. Das versuchte ich so lange wie möglich hinaus zu zögern, da es gefährlich für uns und für die ganze Story war. Ich musste herausfinden, ob sie nur vor mir so auftraten und prahlten oder auch vor jemandem anderen, der dabei war – und es war noch schlimmer. Es zeigte mit, dass diese Monstrosität politisch war und offensichtlich eine kollektive Ebene hatte. Es war der Moment, in dem ich verstand, dass die Nazis in Deutschland immer noch an der Macht wären, wenn der Rest der Welt den Holocaust in dieser Zeit gefeiert hätte.

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