BFF On The Road: Nordische Filmtage Lübeck 2015


Tobias Lindholms "Krigen" zeigt im Orizzonti-Wettbewerb Krisengebieten, wo ausnahmslos der Ausnahmezustand regiert. Foto: La Biennale

Tobias Lindholms „Krigen“ zeigt Krisengebiete, in denen ausnahmslos der Ausnahmezustand regiert. Foto: La Biennale

180 Filme sind in diesem Jahr auf den Filmtagen zu sehen. Filme, in denen der Krieg dominiert im politischen wie im alltäglichen Sinn und in denen der Einzelne im Fokus steht, auf den es ankommt, wenn es darum geht, „genau hinzusehen und hinter den brennenden Problemen der Zeit Menschen zu erkennen, die ein besonderes Schicksal haben, die etwas bewegen, reflektieren oder ein Vorbild abgeben.“, so Linde Fröhlich (Artistic Director der Nordischen Filmtage). Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Gros der Filme aus Dänemark stammt, dem Land, das wie kaum ein anderes es immer wieder schafft, die Psychologie von Krisen sensibel und in aller Komplexität auszuleuchten, statt sie nur auszumalen oder in plakativen und klischeevollen Dialogen plump auszustellen. Die meisten der in Dänemark produzierten Filme stehen für ein Kino, dass den Zuschauer nicht einfach gehen lässt, sondern eher leise Beben in ihm auslöst und Einblicke hinter Wissenskulissen bietet. Denn jeder kennt oft und im besten Fall einzelne Fakten. Headlines müssen reichen, Zusammenhänge bleiben unerschlossen. Und im schlechtesten Fall wird über Hörensagen vage aber dramatisch diskutiert. Beispielhaft für diese feinen Erzählungen steht Tobias Lindholms „A War„, der im Wettbewerb um den Publikumspreis läuft. Was es heißt, Krieg zu führen, der hässlich, dreckig und immer irrational und unmenschlich ist, zeigt Lindholm auf eindrucksvolle Weise. Wer steht auf welcher Seite und wie genau kann man „richtig von „falsch“ unterscheiden. Lindholm zeigt ohne jede Effekthascherei oder Hysterie, dass Krieg nicht schwarz oder weiß ist, sondern ein komplexes Ungetüm, das immer im Ungewissen, Unplanbarem wirkt. Auf Basis dieser Unsicherheit und nur an Richtlinien orientiert zu handeln, scheint nahezu unmöglich, wird aber von allen im Einsatz verlangt.

Weiterlesen: Lindholms „A War“ feierte seine Weltpremiere bei der 72. La Biennale di Venezia – hier unser Festivaltagebuch aus Venedig…

Spannende und kluge Einblicke kommen im diesjährigen Programm auch aus Schweden, darunter eine Reihe herausragender schwedischer Dokumentationen, die besonders die aktuellen Debatten in ihren Kontext rücken. Wunderbar erzählen beispielsweise Ahmed Abdullahi, David Aronowitsch, Sharmarke Binyusuf und Anna Persson über die Konsequenzen des „Dublin“-Abkommens für die Menschen, die aus den Krisenregionen kommen und gezwungen sind, dort Asyl zu suchen, wo sie zuerst Fuß an Land setzen. Um die Umstände und Konflikte, denen sie täglich ausgeliefert sind, weiß die Öffentlichkeit. Doch die Presseberichte verschwimmen für die meisten in pauschalen Konfliktbeschreibungen einer undefinierten grauen Masse. Einzelschicksale gehen in der Fülle der Masseninformationen eher unter. Umso wichtiger ist der schwedische Dokumentarfilm „I am Dublin„, weil er aufklärt, Vorurteile bekämpft und denen ein Gesicht gibt, die von vielen nur noch als „die Anderen“ wahrgenommen werden. Berührend auch der im Kurzfilmpaket gezeigte Film „Heimat“ von Sara Broos. In nur 13 Minuten schafft sie es, dem Zuschauer zu vermitteln, was es eigentlich heißt, seine Heimat zu verlieren und wie viel Sehnsucht nach dem verlorenen Land in den Vertriebenen wohnt. „Wenn die Dinge erst einmal weg sind, die man so sehr liebte, dann bekommen diese Dinge eine noch wichtigere Bedeutung als sie ursprünglich hatten“, wird an einer Stelle im Film gesagt. Die junge Raghad ist aus Syrien geflüchtet und in Schweden gelandet. Nur Musik ist ihr geblieben, ist jetzt ihre Heimat, ihre einzige Verbindung zur Vergangenheit. Musik als Träger von Gefühlen, mit der universellen Kraft Grenzen jeder Art zu überschreiten, wird zum Spiegel ihrer Seele. Es braucht keine Worte, um ihre Sehnsucht und stille Traurigkeit in nur wenigen Sequenzen zu spüren. Überrascht wird das Publikum als die „Fremde“ aus Syrien erzählt, dass sie in den 80ern mit a-ha aufwuchs und ihr Leben mit dem Song „Hunting High and Low(hier das Video) eng verknüpft ist. Sie war, wie sie sagt, das Mädchen aus diesem Song, das beschützt werden musste. Ihre Brüder, von denen sie gerade nicht weiß, wo sie jetzt sind, waren diese Beschützer. Immer wieder spielten sie zusammen das Video zuhause nach, selbst Onkel und Väter und Mütter waren Fans der Band. Als Morton Harket von ihr erfährt, macht er sich auf den Weg zu ihr und es kommt es zu einer bewegenden Begegnung zwischen den beiden.
Das Motto dieser ersten beiden Tage könnte kaum deutlicher sein: Einer für Alle und Alle für Einen.

SuT

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