Hauptdarsteller Jesuthasan Antonythasan im Interview zu „Dheepan – Dämonen und Wunder“

"Die westlichen Nationen sollen nicht in Zahlen denken, sondern in Menschenleben"


Jesuthasan Antonythasan spielt in "Dheepan" die Rolle seines Lebens. Foto: Filmfest Hamburg/ Paul Arnaud/ Why Not Productions

Jesuthasan Antonythasan spielt in „Dheepan“ die Rolle seines Lebens. Foto: Filmfest Hamburg/ Paul Arnaud/ Why Not Productions


Hauptdarsteller Jesuthasan Antonythasan spricht im Interview zu Jacques Audiards „Dheepan – Dämonen und Wunder“ über sein Schauspieldebüt in einer Rolle, die er aus seinem eigenen Leben nur zu gut kennt, die Flüchtlingsthematik und erklärt, warum er nicht in seine Heimat, nach Sri Lanka, reisen kann…

Herr Antonythasan, Regisseur Audiard sagte über Sie: „Da war so ein Charme, eine Nonchalance in einem vernarbten Körper. Aber er musste etwas anderes finden, er durfte nicht er selbst sein, sondern musste zu Dheepan werden. Ich musste ihm die Figur erklären, dass Dheepan sich anders verhält, anders blickt, anders denkt.“
Worin unterscheiden Sie sich grundlegend von Dheepan?
Jesuthasan Antonythasan:
Ähnlich zwischen Dheepan und mir sind der Ort des Geschehens und das, was uns widerfahren ist. Im Film rettet sich meine Figur vor dem Krieg und flieht nach Frankreich. Ich habe mich nach Thailand gerettet. Fünf Jahre lebte ich dort, ehe ich nach Frankreich ging und mein Leben den normalen Weg ging. Ich bin aus LTTE (Anm.: Kurz für: Liberation Tigers of Tamil Eelam) ausgestiegen und habe mich einer kommunistischen Partei angeschlossen. Danach wurde ich zum Schriftsteller.

Sie sagen, Sie wurden zum Schriftsteller. Betrachten Sie sich als auch Schauspieler?
Ich bin erst einmal Schriftsteller. Aber wenn ich Figuren wie diese von Jacques Audiard entdecke, kann ich mir die Schauspielerei vorstellen. Ich habe schon einen neuen Film in Kanada gedreht, bei dem mich das Drehbuch überzeugte. Als nächstes möchte ich einen meiner Stoffe verfilmen.

Audiard wusste nichts über Sri Lanka, ehe er Sie kennen lernte. Hat er Ihr Land verstanden und es im Film gut erzählt?
Das ist eine wichtige Frage. Als ich das Drehbuch las, war ich sehr überrascht, wie gut es war. Es schilderte die Situation dort sehr treffend. Als ich zum Film stieß, veränderte ich aber einiges, so sprechen wir zu 80 Prozent Tamilisch. Audiard schrieb alles auf Französisch und ich übersetzte das ins Tamilische.

Hat er diesen Konflikt gut eingefangen?
Ja, das hat er!

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Sie wurden für den Film gecasted. Als Sie das Drehbuch gelesen und diese Figur entdeckt haben, hat das etwas in Ihnen ausgelöst?
Ich war überrascht, wie wunderbar beim Casting alles geklappt hat. Audiard erfuhr da erst, dass ich Soldat war. Ich bin zwar überrascht, wie gut er das getroffen hat, aber meine Vergangenheit trage ich jeden Tag mit mir herum. Sie hat nichts mit dem Film zu tun und ist in diesem Sinn nichts Neues für mich.

Wie gehen Sie mit dieser traurigen, gewalttätigen Vergangenheit in Ihrem Alltag um?
Das ist schwer zu verarbeiten. Andere Leute haben aber auch darunter gelitten, weshalb es für mich ein Stück normal ist. Ich habe keine Sorge, morgen umgebracht zu werden oder zu sterben.

Hilft die Kunst das Erlebte zu verarbeiten?
Nein. Ich verließ mein Land 1988. Was davor in dem Land passierte, in dem ich lebte, war natürlich ganz schlimm. Ich konnte mich retten. Viele meiner Freunde, Verwandte und Menschen aus meinem Dorf sind gestorben. Das habe ich in meinen Kopf, daran denke ich oft. Mein Dorf existiert nicht mehr.

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