2. Woche der Kritik in Berlin

Ebenso viele Fragen wie Antworten


Woche der Kritik 2016Ein besonderes Augenmerk der Woche der Kritik gilt dem subversiven und unbequemen Kino. Das treffendste Beispiel dieser filmischen Spielart gab es in diesem Jahr unter dem Programmpunkt „Verführung“ zu sehen. Wobei es dem Regisseur Philippe Grandrieux in „Malgré La Nuit“ augenscheinlich nicht um die filmische Verführung seiner Zuschauer geht. In ausschnitthaften Digitalaufnahmen schildert er die Geschichte von Lenz, einem jungen Mann in Paris auf der Suche nach seiner Freundin Madeleine. Dieser beginnt eine Liebesaffäre mit Hélène (Ariane Labed) und trifft dabei auf eine Gruppe skrupelloser und brutaler alter Männer. In einem undurchschaubaren Spiel gegenseitiger Abhängigkeiten erfahren wir, dass Madeleine anscheinend als Prostituierte in zwielichtige Kreise geraten ist. Über 150 Minuten Spielzeit verfolgen wir verstörte und zerstörte Gestalten dabei, wie sie sich mit sexueller Dominanz, Sadismen und Masochismen zugrunde richten. In diesen nur lose zusammenhängenden Episoden reihen sich kalkulierte Tabubrüche aneinander. Gewaltpornographie und Inzest führen in einer absteigenden Spirale schließlich zum Snuff Film. Grandrieuxs Film ist dabei ein rein artifizielles Kunstprodukt, er verfolgt weder die dokumentarische Herangehensweise eines Ulrich Seidl, noch die treibende ästhetische Kraft eines Gaspar Noé.

Wie weit kann ein Film gehen, um als ernsthafter filmischer Diskurs oder als prätentiöser Kunstgriff aufgefasst zu werden? Mit dem Programm hat die Woche der Kritik sicherlich genauso viele Fragen aufgeworfen, wie sie Antworten liefern konnte. Vor allem aber hat sie gezeigt, dass Filmkunst heutzutage ihr Publikum auch abseits der großen Filmfestivals über alte und neue Verbreitungswege wie Kinos, Streaming Dienste oder Heimkino Medien herausfordern muss.

Henning Koch

Die 2. Woche der Kritik fand von 11. bis 18. Februar 2016 in Berlin statt.

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