Interview mit Grit Lemke über die Initiative Festivalarbeit

Lemke: "Großes Potenzial für Gewerkschaftsarbeit"


Ist es ein Ziel, mehr von den freien Aufträgen in befristete oder unbefristete Verträge umzuwandeln, oder bessere Bedingungen und Löhne für die freien Mitarbeiter/-innen zu erkämpfen?
Beides. Generell muss geguckt werden: Wer bekommt einen festen Vertrag und wer nicht. Die Regel, nach der Verträge überhaupt befristet werden dürfen, geht auf ein Gesetz zurück, das man sich mal näher angucken müsste. Warum können Verträge von Festivalarbeiter/-innen letztendlich unbegrenzt befristet werden? Das ist eine Ausnahmeregelung im deutschen Arbeitsrecht. Außerdem gibt es viele verschiedene Tätigkeiten bei einem Filmfestival, aber überhaupt keine Vergleichsdaten für Honorare und Gehälter. Ich habe von ver.di gelernt, dass es aus kartellrechtlichen Gründen keine Honorarempfehlungen mehr geben darf. Aber indem man zumindest Vergleichsdaten sammelt, kann man den Leuten Argumentationsmaterial in die Hand geben. Sonst verhandelt jeder für sich allein.
Für einen Katalogtext zahlen manche Festivals gar nichts; andere zahlen 25 bis 30 Euro, was natürlich viel zu wenig ist, wenn man fünf Stunden an einem Text sitzt; andere rund 90 Euro. Und diese Spanne zwischen 0 und 90 Euro erscheint uns relativ hoch. Das sind Dinge, die man öffentlich machen kann. Es hilft, wenn ein Kollege sagen kann: Pass mal auf, dieser Betrag sollte eigentlich für einen Katalogtext gezahlt werden. Es geht darum, erst einmal Daten zu sammeln, damit die Leute über eine gerechtere Entlohnung zumindest verhandeln können. Bei den gesetzlichen Bestimmungen muss etwas verändert und das Ganze als Förderkriterium etabliert werden.

Festivals wirken als Katalysatoren und Motoren

In eurem Aufruf adressiert ihr insbesondere die Förderinstitutionen der Festivals, „deren Zuwendung in vielen Fällen knapp und rein projektbezogen erfolgen und [die] eine angemessene Bezahlung der Kernbereiche von Festivalarbeit nicht zulassen.“ Du hattest vorhin gesagt, dass sich der Aufruf explizit nicht gegen Festivaldirektor/-innen richtet. Inwiefern wollt ihr mehr Druck auf öffentliche Institutionen ausüben?
Man muss den zuständigen Politiker/-innen klar machen, was die Bedeutung von Filmfestivals ist. Festivals sind nicht einfach etwas, wo nochmal ein paar Filme gespielt werden, sondern sie haben eine riesige Bedeutung als Standortfaktor, was für die Kommunen interessant ist. Und zweitens spielen Festivals eine wichtige Rolle in der Filmwirtschaft, die zum großen Teil über die Festivals funktioniert. Es werden viel zu viele Filme produziert, deshalb haben die Festivals eine wichtige Marktfunktion: Sie ordnen den Markt, sie wirken als Katalysatoren und Motoren. Film führt sein Leben heute zu großen Teilen über Festival. Ohne sie müsste sich die ganze Filmwirtschaft komplett anders organisieren. Wenn das in der Politik ankommt, kann und wird gerechte Bezahlung bestimmt ein Kriterium der Filmfestivalförderung werden. Der Mindestlohn wurde auch erkämpft – jetzt muss man nur klar machen, dass ein großer Teil derer, die für Festivals arbeiten, noch weit vom Mindestlohn bzw. angemessener Entlohnung entfernt sind.

Standortfaktor und Katalysator für den Markt sind ökonomische Argumente…
Ökonomische Faktoren sind immer das erste, was interessiert. Gerade wenn es um Filmwirtschaft geht, kann man die auch mal in die Verantwortung nehmen… Die Relevanz der Filmfestivals wächst durch das Überangebot an Filmen. Dadurch wird der Gedanke des Kuratierens immer wichtiger. Filmfestivals erleben derzeit einen unglaublichen Hype, es werden ständig neue gegründet. Die von uns genannte Zahl von 400 Filmfestivals in Deutschland beruht auf einer empirischen Studie. Da sind nur die Festivals mitgezählt, die wirklich hauptamtlich arbeiten; es gibt ja noch ganz viele, die komplett ehrenamtlich veranstaltet werden. Die Zahl wächst jedes Jahr und das zeigt doch die große Nachfrage nach dieser Art des Kuratierens und des sozialen Events.

Bei einigen Museen ist es inzwischen vermehrt so, dass eingangs am Museum die Kurator/-innen explizit genannt und mit eigener Biografie präsentiert werden, weil Kuratieren als eigene künstlerische Tätigkeit begriffen wird.
Das ist auch bei vielen Filmfestivals mittlerweile so, allerdings eher auf der internationalen Bühne. Es gibt Festivals, da sind die Namen der Kurator/-innen genauso groß wie die der Stars. In Deutschland ist es noch nicht so, dass die Kurator/-innen derart im Mittelpunkt stehen. Ich glaube, dass der Gedanke des Kuratierens immer wichtiger wird.

Zugleich schließt die Künstlersozialkasse (KSK) kuratorische Tätigkeiten bisher als nicht-künstlerisch aus…
Bei der KSK hieß es immer, „Kuratoren organisieren ja nur, das ist ja keine künstlerische Tätigkeit, die gucken ja nur, welche Glühbirne da in der Galerie wo hinkommt.“ Zwar gibt es inzwischen „Videokünstler“, aber noch immer nicht „Film“ als eigene Kategorie. Da ist ein bisschen Bewegung drin, aber letztendlich spiegelt das überhaupt nicht die Realität der Kulturlandschaft wider.

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