BFF on the Road: 58. Nordische Filmtage Lübeck

Immersion, Isolation, Integration


logo_nfl_2016_dZänkische Möwen, salzige Luft, Himmel und Erde im 2:1 Verhältnis, Kluntjes und unvermeidliches Schietwetter sind die Konstanten des Nordens. In Lübeck kommen noch die hanseatische, rote Backsteingotik mit den typisch dekorativen stufenartigen Fassadengiebeln dazu, sowie der Geschmack der Region, der sich aus Marzipan, Matjes, Fischbrötchen, kühlem Blonden oder heißem Grog zusammensetzt. Der Fischkopp gilt ja eher als Grübeltier und melancholische Seele, was sich wohl am ehesten mit seiner protestantischen Sozialisierung und dem Lichtmangel in der Region erklären lässt. So hatte sich das Publikum der 58. Nordischen Filmtage also auch – mit Gummistiefeln, Regenschirm und Co. bewaffnet – auf die bevorstehenden Festivaltage eingestellt, und wurde doch zum Auftakt noch von einer strahlenden Herbstsonne überrascht. Erbittert schien sie der frühen Winterkälte etwas entgegensetzen zu wollen. Doch ihre Kraft reichte allemal, um in den Kaffeepausen neue Energien für die nachfolgenden filmischen Stimmungsbilder zu sammeln. Verhangen und verregnet gingen die diesjährigen 58. Nordischen Filmtage dann schließlich auch erwartungsgemäß für die Jahreszeit zu Ende. Perfektes Wetter also, um sich in den Kinosessel zu pressen und in die Gemütslage der Nordländer zu starren.

Insgesamt 185 Filme aus 16 Regionen waren zu sehen, darunter stachen besonders etliche Dokumentarfilme heraus. Wie schon 2015 berichteten sie von den Krisen der Gegenwart, passend zum Schwerpunktthema der Sektion: „Abschiebung bei Nacht und Nebel“.

Werke wie der dänische Beitrag „Les Sauteurs“ (Abou Bakar Sidibé, Moritz Siebert, Estephan Wagner), der Anfang des Jahres schon auf der Berlinale im Forum zu sehen war, boten die Möglichkeit, hinter die oft in der Presse und den Massenmedien viel zu kurz gefassten Erzählungen zu schauen und ermöglichten authentische Begegnungen. Ein Film, der hautnah und ohne jeden Filter die Wirklichkeit von Grenzzäunen und Flüchtlingen dokumentiert. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch der Gewinner des Dokumentarfilmpreises – den die Lübecker Gewerkschaften seit 1991 „für einen gesellschaftspolitisch besonders engagierten Film“ stiften – „Die Überfahrt“ von George Kurian. Auch er überließ seine Kamera Menschen auf der Flucht, damit sie aus eigener Perspektive und eigenem Erleben in ungefilterten Bildern ihre Flucht in einem überfüllten Boot übers Mittelmeer festhalten konnten. Der Debütfilm nimmt den Musiker Nabi, die Fernsehjournalistin Angela, die Apothekerin Alaf und den IT-Spezialisten Rami, der die gesamte Überfahrt filmt, in den Fokus. Es ist der Versuch, den Menschen, über die schon viel zu lange fast ausschließlich außenstehende Personen berichten und urteilen, ihre Stimme zurückzugeben.

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