32. interfilm: FOCUS ON: CHINA

(Kurz-)Filmland China: Kurzfilme, die eine pessimistische Bilanz ausstellen


Family Affairs und andere Geschäfte

Es gibt einen Spruch, der besagt „Blut ist dicker als Wasser, aber schwerer zu verkaufen“: In einer Konkurrenzgesellschaft wie China, in der der soziale Aufstieg nur einer bestimmten kapitalistisch-politischen Klasse vorbehalten ist, dreht sich auch im Familienleben alles nur um Geld und darum, was Menschen bereit sind zu tun, wenn der Preis nur stimmt.
In „Requiem“ von Muye Wen verliert ein Familienvater bei einem schweren Unfall seine Frau und muss nun – kaum in der Lage ihre Beerdigung zu finanzieren – zu drastischen Mitteln greifen, um die Operation seiner ebenfalls schwer verletzten Tochter bezahlen zu können: Er verkauft den Leichnam seiner Frau an die Hinterbliebenen eines jungen Mannes für eine traditionelle chinesische Totenhochzeit. Da das Heiraten ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in China ist, werden zum Teil junge Männer, die unverheiratet sterben, posthum „verheiratet“, damit ihr Geist im Leben nach dem Tod nicht einsam sein muss.
In dem mit 30 Minuten sehr langen Kurzfilm „The Doomed Way“ verbindet der Fotograf und Regisseur Guo Sanpi schicksalhaft das Leben dreier sehr verschiedener Männer und zeichnet nebenbei ein sehr kritisches Bild der immer noch sehr patriarchalisch geprägten chinesischen Gesellschaft. Mit dem Blick eines Chirurgen seziert Sanpi hier das Machtgefüge zwischen einem einfachen Arbeiter, einem Lastkraftfahrer mit Geldproblemen, seinem Chef, einem abgezockten Geschäftsmann, der seine hochschwangere Frau betrügt, und dem Betreiber einer Autobahngaststätte, der seine Ehefrau dazu zwingt sich für seine Kunden zu prostituieren.
In sehr ästhetischen Bildern und mit einem guten Schuss Ironie inszeniert Sanpi hier sein visuelles Tableau zwischenmenschlicher Abgründe, dessen episodische Dramaturgie mit den zahlreichen Flashbacks ordentlich Spannung erzeugt. Schwarzer Humor sei seine Art die sozialen Probleme seines Landes zu verarbeiten, sagt der Regisseur. Der Film lief dieses Jahr unter anderem auch auf dem Internationalen Filmfestival in Busan und erhielt dort eine lobende Erwähnung.

Neben diesen sehr sozialkritischen Darstellungen menschlicher Beziehungen behandelten die Filme, aber auch ganz allgemein drängende Fragen unserer industrialisierten Gesellschaften zum Umgang der verschiedenen Generationen miteinander: wie mit zunehmend alternden Familienmitgliedern umzugehen ist und den Konflikt zwischen Traditionsbewusstsein und Aufbruch. Dabei zeigte das Festival in diesem Jahr erneut Grandfather“ (hier in voller Länge), einen der Gewinnerfilme aus dem Jahre 2011 der Regisseurin Ding Lu, der anlässlich der 27. Ausgabe interfilms den Preis für die beste Kamera erhielt.
Der Film erzählt die rührende Geschichte eines kleinen Mädchens, das aus der Stadt zu Besuch bei ihrem Großvater auf dem Dorf ist: Weil sie sein selbst zubereitetes Hühnchen nicht so lecker findet, wie das von KFC, bringt sie ihrem Großvater in der nächsten angrenzenden Stadt die Freuden des Fast-Foods bei. Auch wenn die Kleine es auf dem Land zunächst eher langweilig findet, wird sie ihren Großvater nach dem Abschied sehr vermissen.

Chinesische Animation gestern und heute

Mit dem etwas weniger politisch engagierten Programm „Chinamation“ widmete sich interfilm der historischen Entwicklung des chinesischen Animationsfilms, angefangen mit dem propagandistischen Stop-Motion-Kurzfilm „New Things on the Roadside“ von Shuchen Wang aus dem Jahre 1964 und der kunstfertigen Papieranimation „Monkeys fish the Moon“ von 1981 von A Da und Keqin Zhou über eine Affenbande, die beschließt, den Mond zu stehlen. Gezeigt wurde auch der in wunderschönen aquarellierten Zeichnungen gehaltene Animationsfilm „Feelings from Mountain and Water“ von Wei Te, Shancun Yan und Kexuan Ma aus dem Jahre 1987 sowie die Holzschnitt-Animation „Cai Wei“ von Ye Zhao und Yang Huang von 2004 über die Reise eines Frosches durch eine mystische Berglandshaft. Abgeschlossen wurde das Programm mit „A Woman’s Life“ von Jin Yu und Jianguo Fang, einer Mischung aus Animation und Live-Action, der inspiriert von der wahren Geschichte eines weiblichen Generals den inneren Zwiespalt zahlreicher berufstätiger Mütter und deren Spagat zwischen Familie und Beruf illustriert.

Dank einer akzentuierten Filmauswahl ist es dem diesjährigen interfilm gelungen, einen umfassenden Einblick in das zeitgenössische chinesische Kurzfilmschaffen, aber auch die kulturelle und landschaftliche Diversität dieses riesigen Landes zu bieten, ohne dabei die Augen vor gesellschaftlichen Missständen zu verschließen.
Auf jeden Fall hat dieser Einblick große Lust auf mehr gemacht und lässt nur hoffen auf weitere filmische Erzeugnisse aus China.

Tatiana Braun

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