Interview mit Maria Dragus und Ella Rumpf über „Tiger Girl“ von Jakob Lass

"Tiger Girl"-Interview: Mädchenfreundschaft mit Baseballschlägern



Machst du auch diesen brasilianischen Kampftanz, Capoeira?
MD: Nee, nee.
ER: Das würde so zu dir passen!
MD: Ja, wahrscheinlich. Wir haben relativ schnell rausgefunden, dass für Vanilla das Kicken ganz gut funktioniert und es für mich einfacher ist, die Kraft aus dem Bein zu bekommen als aus dem Oberkörper. Das hat mega viel Spaß gemacht, die verschiedenen Kicks zu lernen und andere zu verprügeln. Einfach weil das – jetzt mal ganz abgesehen von dem Kontext, in dem das steht – Spaß macht, so eine Physis mit in die Figur mit reinzunehmen.

Besonders spannend finde ich aber daran, dass es in dem Film um eine Art der Befreiung, eine extreme Art der Überwindung weiblicher Rollenklischees geht. Gerade auch in der Figur der Vanilla geht es um so etwas wie die Entdeckung der eigenen Stärke. Braucht es mehr solcher Filme?
MD: Diese Freiheit haben wir uns einfach genommen. Jakob hat uns diesen Stoff gegeben und dadurch, dass wir so extrem in die Arbeit involviert waren, konnten wir sehr viel daraus machen. Wobei Ella dabei noch viel mehr Vorlauf hatte als ich und sich noch viel mehr damit beschäftigt hat, sodass ich mich total darauf beziehen musste und auch wollte.
Ich habe bis zwei Tage vor Drehbeginn von „Tiger Girl“ noch ein anderes Projekt gedreht und bin dann mit einem Tag Unterbrechung direkt zu „Tiger Girl“ gekommen: Bei mir ist eher alles so im Prozess entstanden, was im Nachhinein ja sehr gut war. Es war auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.
ER: Von den Rollen passt es, dass Vanilla sich Tiger anpassen muss, ich also mit dieser intensiven Vorarbeit da rein bin und Maria dann so mitgezogen habe.
MD: Die Freiheit ist auf jeden Fall sehr groß gewesen und ich glaube, daher kommt es, dass wir die Möglichkeit hatten, zwei so starke Frauen daraus zu machen.
ER: Wir sind eben auch zwei starke Frauen – im echten Leben!
MD: Auf jeden Fall!
ER: Ich glaube, wir sind einfach zwei Menschen, die eine klare Einstellung zum Leben haben und uns war es sehr wichtig, keine oberflächlichen Figuren zu schaffen.

TIGER_PlakatWar das für euch befreiend, diese Rollen zu spielen? Hat das irgendetwas in euch ausgelöst?
MD: Nein. Ich fand es extrem anstrengend. Vor allem die psychische Auseinandersetzung mit der Gewalt, die die Figuren sich selber antun. Weil klar, sie führen Gewalt aus, an anderen und an Dingen, tragen viel Aggression in sich, die sich dann in dieser äußeren Gewalt manifestiert, aber sie forcieren sich ja selber auch extrem und leiden unter ihren Umständen. Diese Auseinandersetzung hat mir ziemlich zu schaffen gemacht. Ich hatte ganz viele Momente, wo ich gemerkt habe, da stoße ich an Grenzen.
Diese Grenzüberschreitung ist auch sehr schön. Das ist bereichernd, wenn man merkt: „Okay, krass, ich komme jetzt hier gerade nicht weiter, aber ich kann jetzt auch nicht zurück…“ Man lernt und wächst da dran und das ist dann auf eine gewisse Art und Weise sehr befreiend.

Wie kann man sich die Arbeitsweise nach dem von Jakob Lass entwickelten „Fogma“-Prinzip konkret vorstellen? Es wird ja viel improvisiert, es gibt keine geschriebenen Dialoge, kein Drehbuch, sondern nur so etwas wie ein Grundgerüst der Story.
Beide: Alles ist improvisiert. Komplett. Es gibt kein Drehbuch.

Konntet ihr dabei auch direkt Einfluss auf den Verlauf der Geschichte nehmen? Auf die Entwicklung eurer Figur?
ER: Ja, das war auch total wichtig für mich, weil ich mit gewissen Sachen einfach nicht einverstanden war. Da konnte ich immer sehr klar sagen: „Du willst diese Geschichte jetzt so erzählen, aber Tiger, die macht das nicht so.“ Es war ein gemeinsamer Prozess, wo man sich zusammengesetzt und immer wieder über die Message des Films gesprochen hat, über das, worum es eigentlich geht.
Denn unsere Figuren dienen einer Story und wir mussten für uns feststellen, welcher Story wollen wir eigentlich dienen? Hier gab es immer wieder Auseinandersetzungen, die sehr interessant und herausfordernd waren.
MD: Zumal wir auch nicht wussten, was es für eine Dramaturgie gibt. Wir haben zwar einigermaßen chronologisch gedreht und die Skelettszenen abgearbeitet, aber das waren nicht sehr viele. Es gab auch keine wirklich ausführlichen Beschreibungen von irgendwelchen Hergängen, sondern das waren halt so eher so Stichworte, wie „Nackter Mann unterzieht sich Inspektion in Mall“.
ER: Und Jakob flüstert einem dann in der Szene spontan etwas ins Ohr: „Okay, du spielst jetzt das. Du willst jetzt das erreichen und die andere will das erreichen…“
Oder manchmal eben auch gar nichts.
MD: Manchmal gab es einfach auch 50-Minuten-Takes… – Unser armer Kameramann! – Diese Improvisation ist schon ganz schön toll.

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