Interview mit Regisseur Nico Sommer zu „Lucky Loser“

Nico Sommer: "Es geht um konstruktive Provokation"


"Lucky Loser" feierte Premiere beim 35. Filmfest München. © FILMFEST MÜNCHEN 2017

„Lucky Loser“ feierte Premiere beim 35. Filmfest München. © FILMFEST MÜNCHEN 2017

Die Frage ist, wo hört Impro auf und wo fängt es an?
Das lässt sich in einem Vorgespräch nicht trennscharf festlegen. Der Begriff löst bei jedem ein anderes Kopfkino aus. Jeder sollte wissen, dass ich Improvisieren lasse, damit jeder auch um seinen Freiraum weiß. Den will ich nutzen, um das Endergebnis zu verbessern. Gemeinsam ist man stärker – so in der Art.

Wie weit kann man mit Humor gehen?
Ausloten muss man, wo die Grenze dieses Humors ist, der im Halse stecken bleiben soll. Da gibt es Diskrepanzen zwischen einem Skript, das nur ein Skript ist und nie ein Gefühl oder ein Gespräch, bzw. Stimmung ersetzen kann. Erst wenn man den Gesamtkontext sieht, spürt man, was geht. Wir können so in dem Film zweimal „Neger“ sagen, weil man weiß, das ist kein Rassismus. Ich finde nur Humor und Witz schaffen es, diese gesellschaftlich „brennenden“ Themen mit Verve anzupacken, ohne Finger nach oben zeigend.

Gehört dieses Spiel mit Klischees und Konventionen zum Humor und einer Komödie dazu?
Klar. Es geht darum, den Kontext zu gestalten. Um konstruktive Provokation ebenso wie um Ausgewogenheit. Das Genre Komödie sollte dazu führen, sich mehr trauen zu dürfen, vielleicht sogar trauen zu müssen. Gerade bei uns Deutschen ist da häufig eine Schranke im Kopf. Unausgesprochen steht „bei uns“ sofort die Frage im Raum, wie weit man mit Humor gehen darf. Natürlich haben wir diskutiert, ob wir im Film „Neger“ sagen wollen. Logisch… (lacht)

Wir sind offenbar so weit sensibilisiert, dass Menschen darüber nachdenken, wo die Grenze des Sagbaren verläuft. Die Rechte arbeitet mit dem Taschenspielertrick, etwas vollkommen Indiskutables zu sagen, um dann wieder ein Stückchen zurück zu rudern. Das Ergebnis bleibt indiskutabel, aber trotz der Relativierung bleibt das Relativierte stehen…
Das hat damit zu tun, dass heute nur noch derartige Provokation ankommt. Lärm generiert Aufmerksamkeit. Und polarisierender Lärm kommt noch mehr an. Als Künstler muss man schauen, wo man sich positioniert und sich nicht einkaufen lässt. In der Komödie bedeutet das: Auf welchen Witz will ich nicht verzichten? Das muss man sich klarmachen.

Ein öffentlich-rechtlicher Förderer wie das ZDF muss sicher sensibler darauf achten, dass mit den eingetriebenen GEZ-Gebühren kein Schindluder getrieben wird. Humor und Witz verletzt aber Grenzen. Wirkt sich dieses Denken auf die Arbeit aus?
Das kommt immer als Argument. Nicht rassistisch sein zu dürfen, kein Geld zu verschwenden und keinen Schrott zu drehen. Das muss so sein,ist okay. Auf der Gegenseite müssen Experimente in der Kunst zugelassen werden, auch mit Staatsknete. Das war ja früher auch so… Ich darf Keith Haring zitieren: „Nichts ist erfrischender als ein beherzter Schritt über die Grenzen.“ Da steckt schon alles drin, das Wichtigste ist das Herz. Künstler müssen Grenzen verletzen, vielleicht sogar mal etwas falsch machen.

Ist das typisch Deutsch?
In Amerika darf ein Startup scheitern, das ist nichts Schlimmes für die CEOs. Hier in Deutschland gibt es eine Kultur der Angst, diese Kultur, nichts falsch machen zu dürfen – oder auf Misserfolgen herumzustochern. Das spiegelt sich in vielen Dingen, z.B. auch Film oder in der Förderkultur wider . Die ist in der Tendenz zu ängstlich und zu wenig experimentell.

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