Interview zum Visionär Film Festival 2018 mit Francesca Vantaggiato

Vantaggiato: "Filmemacher ermutigen, auf ihr Talent zu vertrauen"



Auf welche Filme sollten die Zuschauer besonders achten?
Alle Filme wurden aus einem bestimmten Grund ausgewählt; entweder aufgrund ihrer herausfordernden Erzählung, wegen ihrer gewagte Ästhetik oder ihre Originalität.
Das in Brasilien spielende Film „AZOUGUE NAZARÉ„, von Tiago Melo – Gewinner von Bright Future in Rotterdam – gewährt uns eine anthropologische Einsicht in Kostüme, Tradition und Selbstdarstellung in Recife.
THE FLOWER SHOP“ vom Belgier Ruben Desiere ist eine zeitgenössische Fabel die von jungen Immigranten auf der Suche nach Identität, einem Leben in der Normalität und einer nie erreichten Integration handelt. Damit berührt der Film wichtige Themen.
MEDEA“ von Alexandra Latishev Salazar aus Costa Rica ist ein Film, der Entscheidungen und Freiheiten, die das körperliche Frau-Sein mit sich bringen kann aufzeigt und auch die damit verbundenen Probleme und Konflikte. Der Charakter der weiblichen Hauptrolle ist sehr komplex und widersprüchlich und nicht so schnell zu vergessen.
NOBLE EARTH“ der Amerikanerin Ursula Grisham ist eine Studie über Langeweile und weibliche Repression in einer Welt, die nur selten Einsicht gewährt: die florentinische High Society.
THE FAMILY“ von Rok Bicek, beim Film Festival Locarno uraufgeführt, ist eine Art Boyhood-Coming-of-Age-Story die in Slowenien spielt, ein Projekt, das über zehn Jahren ohne Drehbuch gefilmt wurde. Bicek beobachtet, was eine Familie ist. „JULIA IST“ der Spanierin Elena Martín ist ein tiefer Einblick in das Leben einer jungen Studentin, die sich während ihres Erasmus Aufenthalt im kalten und grauen Stadt Berlin erst verloren fühlt und sich zögerlich auf die Menschen und den Sog der Stadt einlässt. Der Film „JUZE“ von Miransha Naik legt die Ausbeutung und den Missbrauch von Einwanderern in Goa offen. Der Student und Arbeiter Santosh versucht, seinem Schicksal zu entkommen und kämpft für seine Freiheit. „THE PARK“ („Le Parc„) des Franzosen Damien Manivel erweckt eine Geschichte zum Leben, die Träume und Illusion mit der Realität vermischt. Ein Park ist die Hauptfigur, der ein schützender, aber potentiell gefährlicher Ort ist. „PARK“ der Griechin Sofia Exarchou zeigt Menschen ohne Ziele im Leben, die ihre Tage an sich vorbei ziehen lassen, weil sie die Wirtschaftskrise in ihrem Heimatland voll getroffen hat. Harmony Korine und Larry Clark spielen stilistisch eine prägende Rolle für Exarchou.

Außer Konkurrenz zeigen wir „SARAH PLAYS A WEREWOLF“ von Kathrina Wyss, eine schweizerisch-deutsche Produktion über einen Teenager, der mit seinen radikalen Darbietungen als angehende Schauspielerin ein dunkles Geheimnis zum Ausdruck bringt.

Erwartet ihr Regisseure oder Hauptdarsteller?
Die Regisseurin von „Nobel Earth„, Ursula Grisham, hat sich angekündigt, ebenso der Schauspieler und Produzent von „Julia Ist„, Max Große, die Regisseurin Katharina Wyss von „Sarah plays a Werewolf„, die Schauspielerin Barkha Naik von „Juze“ und die Filmemacher und/oder Mitwirkende von jedem Kurzfilm.

Was passiert im Rahmenprogramm?
Dieses Jahr haben wir einige Neuheiten: Neben unserer Haupt- und Wettbewerbsauswahl – dazu zählen neun Filme aus aller Welt, von Costa Rica bis Indien – und einem außer Konkurrenz stehenden Film, haben wir eine Hommage an die große Agnes Varda – die kürzlich den Ehrenoscar verliehen bekam. Weiter haben wir die Sektion Visionär – Kurze Berliner Begegnungen neu in das Programm aufgenommen. Wir zeigen den zweiten Spielfilm von Varda, „Cleo von 5 bis 7“ (1962). Varda ist eine sehr einflussreiche Regisseurin: Ihr Spielfilmdebüt „La Pointe Courte“ (1955), das in einem kleinen Fischerdorf fern vom Stadtleben spielt, kam vier Jahre vor Truffauts „The 400 Blows“ und Godards „Breathless“ auf die Leinwand! Sie ist die Mutter der französischen Nouvelle Vague, obwohl sie neben Godard, Truffaut, Resnais, Chabrol, Rivette, Rohmer und ihrem Ehemann Demy weniger Beachtung findet. „Cléo von 5 bis 7“ ist auch heute noch erstaunlich modern, innovativ und einflussreich wie jeder Nouvelle Vague Film. Das zeigt sich nicht zuletzt in ihrem Umgang mit den Charakteren und Themen, ihr einzigartiges Fingerspitzengefühl wird in jedem ihrer Filme und Dokumentationen sichtbar. Mit dieser Hommage an Vardas filmische Anfänge wollen wir die jungen Filmemacher*innen da draußen ermutigen, auf ihr Talent zu vertrauen und sich kritisch gegenüber der Filmindustrie zu positionieren, in der immer mehr ökonomische Faktoren Einfluss auf sie ausüben.
Visionär zeigt zudem 22 Kurzfilme junger Berliner Regisseur*innen in vier Blöcken. Einige der Kurzfilme wurden von der DFFB eingereicht, einer der wichtigsten Filmhochschulen der Stadt, andere wurden im Rahmen eines Open Calls ausgewählt. Mit dieser neuen Sektion wollen wir die Verbindung zur lokalen Szene stärken, das Treffen zwischen Künstlern*innen verschiedener Disziplinen fördern und ihnen eine Plattform des Austausches bieten.

Die Fragen stellte Denis Demmerle für Berliner Filmfestivals.

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