Bericht vom 14. XPOSED International Queer Film Festival in Berlin

XPOSED 2019: Intimität zulassen, Radikalität erleben


Intimität als prägendes Moment in Zara Zandiehs „The sea runs thru my veins“. Foto: Xposed 2019

„Wenn man nicht lesbisch ist, kann man die lesbische Lebenswelt nun einmal nicht erfassen.“ So oder so ähnlich heißt es aus dem Off in Barbara Hammers „Nitrate Kisses“ beim 14. XPOSED International Queer Film Festival. Der Satz nimmt Bezug auf die quasi jahrhundertelang währende – und noch immer andauernde – Anmaßung der heterosexuellen Gesellschaft die Welt, und damit auch nicht-heterosexuelle Lebensrealitäten verstehen und wiedergeben zu können. Beim XPOSED gab es vom 9. bis 12. Mai 2019 gerade das Gegenteil zu erleben: Queere Filmemacher*innen verhandelten Themen wie Repräsentation und Marginalisierung und zeigten auch darüber hinaus, wie ein queerer Blick auf die Welt aussehen kann. Nur: Wenn man sich Barbara Hammers Satz zu Herzen nimmt, wie kann man nun im Anschluss als Filmkritikerin – fluide, aber sich fast ausschließlich in einem (weißen) heterosexuellen Umfeld bewegend – das Gesehene beschreiben, ohne dabei gleich wieder in totale und absolute und damit marginalisierende Sprach- und Denkmuster zu verfallen? Fast unmöglich ist es vermutlich, aber vielleicht geht das ja, indem man den Zweifel ebenfalls mit Barbara Hammer beantwortet, die dem experimentellen, zutiefst persönlichen Film vor dem narrativen Werk den Vorzug gibt, eben weil seine Brüchigkeit dem echten Leben viel näher ist (indirektes Filmzitat). Absichtlich fragmentarisch, inadäquat und rein subjektiv also hier drei XPOSED-Beobachtungen.

1. Thesen über Bord werfen. Immer wieder
Schwarz auf weiß gelesen erschien das Programm erst mit alten und neuen Bekannten des aktuellen Festivalbetriebs durchsetzt (siehe Ausblick aufs Festival). Umso schöner war es, ganz ungewohnt intime Perspektiven kennenzulernen, vor allem im Kurzfilmprogramm „Too much running through“, das durch das radikale Trans-Essay „Beside the Water, 1999-2004“ von Finn Paul eröffnet wurde: Gleich in der ersten Sequenz onaniert Paul und blickt dabei fordernd und aggressiv gen Kamera. Schnappschüsse halten dabei Pauls Suche nach Zugehörigkeit (aber auch Sehnsucht nach der Flucht in die Wüste) fest, die sexuellen Abenteuer zitierend. Besonders einprägsam ist vor allem die letzte Szene, in der eine Hand zugleich zärtlich, aber auch ungestüm über seine Brust fährt und die Narben der Mastektomie in diese Geste ganz bewusst mit einbezieht. Intimität war auch das prägende Moment anderer Filme wie beispielsweise Zara Zandiehs „The sea runs thru my veins„, Irit Reinheimers „Of Origins, Part 2: Emma„, Sally Cloningers „Mix-Mix“ und Deborah Stratman’s „Vever (for Barbara)„, die bei allen weiten Reisen in die (Gedanken-)Welt immer wieder an das Persönliche anknüpften.

Aus Südosteuropa gab es besonders im fiktionalen Kurzfilm bereichernde queere (Ein)blicke, beispielsweise mit dem kroatischen „Cherries“ von Dubravka Turic und dem mazedonischen „Would you look at her“ von Goran Stolevski, in denen queere Charaktere gegen traditionelle Wertvorstellungen aufbegehren: Aneta (packend: Sara Klimoska, Berlinale Talents 2019 Alumna) taucht am Dreikönigstag nach dem gesegneten Kreuz, was eigentlich nur Männern vorbehalten ist (an den Berlinale-Beitrag „God Exists, her name is Petrunya“ erinnernd) und David liebt seinen besten Freund Vanja in „Cherries“. Während Aneta ihre eigene Emanzipation entschieden nach außen und innen vorantreibt, internalisiert David den familiären Hass und zerbricht daran. Als Betrachterin verwundert am sehr drastischen Film, warum die beiden eigentlich nicht abhauen?

Weiterlesen: Hier unsere Kritik zu „God Exists, her name is Petrunya

Die auch spannungsreiche Vitalität ließ Harry Lightons „Wren Boys“ (beim Filmfest Dresden (hier unser Festivalbericht) mit einer besonderen Erwähnung der Jury des Preises für Geschlechtergerechtigkeit bedacht) dagegen etwas vermissen: Er erzählt zwar effektiv und in your face von Homophobie und Hassverbrechen im katholischen Irland, doch er wirkt gar zu konstruiert und verliebt in seine eigenen Wendungen, als dass der Film lang nachhallen würde.

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