“Dollhouse” von Kirsten Sheridian


Foto: The Factory

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Austauschbar sein

Dalkey, Dublin – eine Gruppe von Tweentie-Somethings bricht in einer Upper-Class-Wohnung ein und benutzt diese als Partywiese. Nach der ersten Einstellung denkt man sich nicht wesentlich mehr als „Ach nö, nicht noch ein Trainspotting-Abklatsch„. Doch irgendwie schafft es Kirsten Sheridan in ihrem Film „Dollhouse“ den Zuschauer bei der Stange zu halten. Handkamerafahrten und nicht allzu klugscheißende Punchlines erzeugen eine gewisse Authentizität, doch wie authentisch ist ein künstliches, höchst vergängliches Paradies? Eben nicht allzu zu sehr. Vor irgendetwas rennen die Protagonisten weg und versuchen es im Alkohol zu ertränken. Nach den ersten 20 Minuten kommt dann der erste Cliffhanger, denn die Wohnung gehört den Eltern einer der Partywütigen. Ein kurzes Lachen der Beteiligten, ansonsten null Reaktion. Wohlgemerkt hat man vorher die Wohnungseinrichtung nach Gutdünken auseinandergenommen und/oder mit Graffiti verschlimmbessert. Hier geht es darum, eine als diffus qualifizierte Außenwelt abzuwehren, indem man alle Poren, durch die sie Eingang ins reflektierende Bewusstsein finden könnte, ermittelt und verschließt, also in etwas Eigenes, vermeintlich autonomes verwandelt.

Nur hat etwas Autonomes stets etwas differenzierendes, reflektiertes. Hier geht es nur um Hemmungslosigkeit und Wellness. Wellness ist für einen Mittzwanzigjährigen ja etwas anderes als für einen Fünfzigjährigen. Dieser verträgt die x-te Line Koks und das x-te Wodka-Fruchtsaftgesöff nun nicht mehr so gut und es wird ihm wohl geschmacklos erscheinen. Einem Zwanzigjährigen ist das herzlich egal. Ein Reigen von medial-präformierten Bildern mündet schließlich im nächsten Cliffhanger. Der Nachbar taucht auf und möchte mitfeiern. Nichts leichter als das. Die Pulle dreht. Speichel wird ausgetauscht und noch ein Zimmer wird auseinandergenommen. Man wartet darauf, dass die Protagonisten etwas von sich preisgeben. Kleine Anhaltspunkte, Informationsbröckchen, Vorlieben, Ängste – irgendetwas. Doch die über Generationen hinweg erlernte Überflüssigkeit der Jungendlichen befördert vielmehr ein übersteigertes Selbstbild, ein tatsächlich nur noch auf Gesten reduziertes und deshalb in der Einbildung mächtiges Super-Ego, dessen radical chic die Menschen auf der anderen Seite der Leinwand auf ein paar zünftige Sexszenen hoffen lässt. Plötzlich erfährt man, dass der Nachbar eine der Damen von früher kennt und das diese Dame wohl untergetaucht sein muss.

Und noch eine Pille wird geschmissen, noch eine Line gezogen und die nächste Wodkaflasche geköpft. Wo der Einzelne sich kaum mehr mit in der Restgesellschaft geltenden Gesetzen und Normen auseinandersetzen muss, wo Fehlverhalten keinerlei ernsthafte Konsequenz nach sich zieht, steuert die Devianz mit Notwendigkeit auf den Zusammenstoß mit dem Eigentum zu, als einzig noch verbliebene Möglichkeit, überhaupt eine Grenze zu erfahren, an der das eigene Handeln etwas anderes als verständnisvolles Desinteresse hervorruft. Merkwürdig desinteressiert sind die Protagonisten auch untereinander. Sie kennen sich gut, doch geben sie sich alle gegenseitig das Gefühl, jederzeit durch einen anderen austauschbar zu sein. Eine der Damen zieht sich zurück und öffnet ein Puppenhaus. Stark torkelnd läuft sie zurück und auf einmal platzt ihre Fruchtblase. Das Auflösen in ein Nichts ist also nicht mehr möglich. Kirsten Sheridans Films lässt einen unschlüssig zurück. Da die Charaktere so gut wie Nichts über sich preisgeben, kann man in dem Fall nur schlussfolgern, dass da nichts zum preisgeben ist – aber von der Geburt eines Kindes kann man schwer absehen.

Joris J.

Berlinale-Termine: Sa 11.02. 20.15 Uhr, CineStar 3; So 12.02. 22.30 Uhr, Cubix 8; So 12.02. 22.30 Uhr, Cubix 7; Di 14.02. 14 Uhr, International; Fr 17.02. 22.45 Uhr, CineStar 3