„Oben ist es still“ von Nanouk Leopold


Szene aus "Oben ist es still" von Nanouk Leopold. Foto: Berlinale.

Szene aus "Oben ist es still" von Nanouk Leopold. Foto: Berlinale.

Die Hände des Milchmannes

Eigentlich hat Landwirt Helmer (Jeroen Willems) schon genug damit zu tun, den Hof zu bewirtschaften, Kühe zu melken, Schafe zu scheren oder den Haushalt zu schmeißen. Aber der alleinstehende Mittfünfziger pflegt zudem seinen bettlägerigen Vater, den er gleich zu Anfang des holländischen Panorama-Beitrages „Oben ist es still“ ins obere Stockwerk des abgelegenen Bauernhauses verfrachtet. Dort versorgt Helmer seinen Vater mit dem Nötigsten: die tägliche Hygiene, ab und zu eine Unterhaltung über das Wetter, Essen. Lieber aber beobachtet er heimlich den Milchmann, der jeden Morgen kommt. Doch auch hier bleibt Helmer zurückhaltend, die schüchternen Annäherungsversuche des Anderen laufen ins Leere. Dass Helmer an den Händen des Milchmannes Gefallen findet, erzählt er seinem Vater erst, als dieser fest schläft. Körperliche Nähe findet in seinem Leben sowieso nur dann statt, wenn er seinen Vater vom Bett auf den Stuhl, vom Stuhl in die Dusche oder von der Dusche zurück ins Bett tragen muss. Wie sehr ihn diese physische Nähe anwidert, kann man in den kurzen knappen und latent aggressiven Gesten erkennen, mit denen er die Blumen von der Fensterbank nimmt und sie in den Müll schmeißt, das Betttuch umschlägt oder dem Vater den Teller unter dem Essen wegzieht. Kein Zweifel, in dieser Vater-Sohn-Beziehung ist einiges schief gelaufen.

Von Anfang an agiert die Kamera in Nanouk Leopolds Film ganz nah an den Protagonisten. Helmers harte, meist unbewegliche Gesichtszüge, die alten Hände des Vaters, die laut Helmer „nur zum Schlagen“ da waren oder die Zunge eines Kalbes, das gierig am Finger des Gehilfen Henk lutscht – mit fast dokumentarischer Ruhe und Präzision inszeniert Leopold die alltägliche Routine dieses Mannes, dessen Gefühlsleben unter vielen Schichten von Wut und Angst, Aggression und Hilflosigkeit verborgen ist. Erst als der Stallbursche eines Nachts nackt in sein Bett gekrabbelt kommt und weinend seine körperliche Nähe sucht, taut Helmer für einen kurzen Moment auf. Arm in Arm schlafen die beiden ein und in der Art, wie Helmer am nächsten Morgen den noch schlafenden jungen Mann in seinem Bett betrachtet, wird deutlich, dass es auch ein anderes, freieres Leben für ihn hätte geben können, ein Leben, in dem er zu sich und seiner sexuellen Orientierung hätte stehen können.

Oben ist es still“ ist nicht in erster Linie ein Film über ein verhindertes Coming-out, dessen Protagonist erst nach dem Tod des überdominanten Vater erkennt, dass er homosexuell ist. Es ist eher ein kurzer beinahe-dokumentarischer Einblick in das Leben eines Mannes, der sich über seine Sexualität zwar im Klaren ist, aber zu gefangen in seiner Umgebung und seiner Angst, sie auszuleben. „Du bist ein schräger Vogel“, sagt der Vater wenige Minuten bevor er stirbt. Auch schräge Vogel brauchen ihren Platz im Leben, am Ende, so scheint es, findet Helmer ihn.

Cosima Grohmann


Oben ist es still
Regie: Nanouk Leopold, Darsteller: Jeroen Willems, Martijn Lakemeier, Lies Visschedijk, Henri Garcin, Wim Opbrouck, Loes Wouterson, Kinostart 13. Juni 2013