„Django Unchained“ von Quentin Tarantino


Die vermeintliche Siegfried-Inkarnation Django. Foto: Sony Pictures Releasing

Die vermeintliche Siegfried-Inkarnation Django. Foto: Sony Pictures Releasing

Kraut Porn

Keine Kunst hat die Freiheit, die der Film hat, den gleichen Körper mit verschiedenen Personen zu verknüpfen. Es hängt mit dem Spielcharakter und dem indirekten Verhältnis zwischen Schauspieler, Charakter und Körper zusammen, dass personale Identität im Film als Puzzle inszeniert wird. Es ist das zweite Mal, dass Christoph Waltz eine Hauptrolle in einem Quentin Tarentino-Streifen übernimmt. In „Inglourious Basterds“ spielte er den von Grund auf schlechten Deutschen, in „Django Unchained“ mimt der Österreicher den guten Deutschen. Dr. King Schultz, ehemaliger Zahnarzt und nun Kopfgeldjäger, ist auf der Suche nach seinem täglich Brot und begegnet dabei zwei Sklavenhändlern, den Speck-Brüdern, die eine Gruppe von schwarzen Männern transportieren. Unter Ihnen ist Django (Jamie Foxx). Im Laufe einer Unterhaltung, bei der Dr. King Schultz herrlich manieriert sich selbst und seine Gesprächspartner erklärt, stellt sich heraus, dass Django Dr. Schultz bei der Identifizierung einer Bande behilflich sein könnte, auf die ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Dr. Schultz möchte Django käuflich erwerben. Die Speckbrüder weigern sich. So erschießt Schultz einen der Brüder und reißt dem Pferd des Anderen den Kopf ab. Begraben unter seinem Pferd, ist der Verletzte bereit, den Kaufvertrag zu unterzeichnen. Schließlich muss alles seine Ordnung haben.

Allein in der Eröffnungsszene wird klar, dass „Django Unchained“ eine Hommage an die Deutschen ist. War „Inglourious Basterds“ nach Angaben von Eli Roth ein „kosher porn“, so ist „Django Unchained“ ein kraut porn. Durften sich in „Inglourious Basterds“ jüdische Soldaten unter der Führung eines rassistischen Südstaatenoffiziers an den Deutschen und dem Antisemitismus als solchem rächen, so darf sich in „Django Unchained“ ein deutscher Zahnarzt an den Amerikanern und dem Rassismus abarbeiten. Dabei befreit er nicht uneigennützig den Sklaven Django, schenkt ihm die Freiheit und emanzipiert ihn sehr amerikanisch mit der Schusswaffe. Django begleitet Dr. Schultz eine Saison lang als Kopfgeldjäger und darf weiße Männer töten. Weiße Männer, die ihn auf der Plantage gefoltert und erniedrigt haben. Weiße Männer, für die scheinbar andere Gesetze gelten. Weiße Männer, die ihn von seiner Frau Broomhilda (Kerry Washington) trennten. Da Broomhilda dem deutschen Namen Brunhilde sehr ähnlich ist und Dr. Schultz natürlich mit der Nibelungensaga sozialisiert wurde, hilft er der vermeintlichen Siegfried-Inkarnation Django, seine Frau zu finden.

Personenwahrnehmung ist ein Sonderfall von Objektwahrnehmung. Personen sind besondere Objekte der sozialen Welt. Auf jeden Fall umfassen die Personenkonstrukte einfachste Annahmen über Objektidentität. Tarentino analysiert diese elementaren Tatsachen der Wahrnehmung, zerlegt sie in ein Puzzle und morpht die Figur Django zu einem selbstbewussten, eiskalten Mistkerl, in dem er ihn Dank der Hilfe seines Verbündeten Dr. Schultz und seines Hauptgegners Calvin J. Candie (Leonardo di Caprio) an die Umgebung der Antebellum-Südstaaten anpasst. Erst in der letzten halben Stunde darf Django zeigen was in ihm steckt. Die Plotentwicklung schlägt hierbei zwei Fliegen mit einer Klappe. Auf der inhaltlichen Ebene wird sehr plausibel dargestellt, wie sich der ehemalige Sklave Django zu einem mündigen Menschen entwickelt. Auf der schauspielerischen Ebene wird so die höchstens mittelprächtige schauspielerische Leistung von Jamie Foxx, durch die brillianten Mimen Waltz und Di Caprio kaschiert. Ihre Rededuelle nehmen mehr als ein Drittel des Filmes in Anspruch und in den Momenten, wo Jamie Foxx ohne sie auskommen muss, eilen Walton Googins als rassistischer Gunslinger Billy Crash oder Samual L. Jackson als „stolzer“ Lakai Stephen herbei, um ihm eine unnahbare Aura zu verpassen. Physisch hat Foxx als Verkörperer von Django gegenüber dem Original aus den 60ern, Franco Nero, nämlich einen entscheidenen Nachteil: Er sieht zu nett aus. Tarentino hat das dieses „Problem“ nicht nur gelöst, sondern auch in einen narrativen Vorteil verwandelt. In der letzen halben Stunde kommt die Karthasis über Dixieland und nimmt den Sezessionskrieg im Kleinen vorweg.

Dabei verspritzen die Opfer Djangos im wahrsten Sinne des Wortes jede Menge Ketchup. Eine moralische Entschleimung, die gut und böse auseinander sortiert, denn Django ballert wie wild in der Gegend herum. Auch hier ist es interessant, wie Tarentino zweierlei bedient. Die Bildsprache ist eindeutig an dem Italowestern Sergio Corbuccis angelegt. Der narrative Konsens entspricht dem US-Western. Der Dualismus von Gut und Böse entsteht erst wieder durch die Gewalt. Die „europäischen“ Rededuelle von Waltz und Di Caprio bekommen durch den Kugelhagel ein Basta verpasst. Erst durch seine Kaltblütigkeit ist Django eine heroische Gestalt, die nicht nur mit der Liebe, sondern auch mit dem Respekt Broomhildas gratifiziert wird. Die Recycling-Experimente Tarentinos gehen mal mehr, mal weniger auf. „Django Unchained“ bewegt sich in einem mehrpoligen Feld von Genrebezügen und dem Tarentino-Universum eigenen Stellvertretungen, ist dabei weder Hommage noch Reboot, sondern „nur“ ein verdammt guter Film.

Joris J.

Django Unchained“ Regie/Drehbuch: Quentin Tarantino, Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jamie Foxx, Kerry Washington, Samuel L. Jackson, Christoph Waltz, Don Johnson, Kinostart: 17. Januar 2013