„24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached



2013 gab Anne Zohra Berrached mit „Zwei Mütter“ ihr Spielfilmdebüt auf den Internationalen Berliner Filmfestspielen in der Sektion Perspektive Deutsches Kino. Von Anfang an zeichnet sich die ausgebildete Sozial- und Theaterpädagogin in ihren Filmen durch einen starken Willen aus, reale Fakten so authentisch wie möglich abzubilden. In „Zwei Mütter“ war es der Spießroutenlauf eines lesbischen Paares, das sich mit seinem Kinderwunsch an den gesellschaftlichen und institutionellen Schranken aufreibt. Ebenso geht es in „24 Wochen“ um die Auswirkungen gesellschaftlicher Dogmen und Regeln auf ein Paar, dass hin- und hergerissen zwischen dem Wollen und Müssen, dem Können und Sollen fast zerbricht.

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Berrached setzt vor allem auf das dokumentarische Moment der Bilder und Figuren und übernahm fürs Dialogbuch nicht zuletzt sogar ganze Gespräche eins zu eins, die sie zur Entwicklung des Drehbuchs mit verschiedenen Paaren zuvor geführt hatte. Und ihre Protagonisten – Julia Jentsch und ganz besonders Bjarne Mädel sind überragend fein in ihrem Spiel und extrem glaubwürdig in ihrer zermürbenden Berg- und Talfahrt der Gefühle – lässt sie dafür auch schon mal in Echtzeit Szenen, wie beispielsweise die Geburt eines Kindes, entwickeln. Ziel ist es, die Wahrheit trotz aller Künstlichkeit zu finden, Nähe zu erzeugen und die Schwelle zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu durchbrechen. Den Zuschauer berührbar machen und seine Wahrnehmung für die auf der Leinwand bis ins Kleinste sezierten Konflikte zu schärfen. Film als Denkanstoß.

Auch stilitisch schärft die in Erfurt geborene Regisseurin und Drehbuchautorin die Wahrnehmung ihres Publikums und nimmt im wahrsten Sinne des Wortes ihre Figuren und die Spuren ihres Schicksalsschlages unters Vergrößerungsglas. Close-ups, Großaufnahmen und Halbnahen dominieren den Film und rücken den Protagonisten wie auch den Zuschauern sprichwörtlich auf die Pelle, versucht in sie hineinzukriechen, um ihre Entscheidungen zu erahnen. Friede Clausz‘ Kamera will nicht vordergründig in Szene setzen, sondern beobachten. Bisweilen, so scheint es, sollen die Aufnahmen mit der Handkamera geradezu an Amateuraufnahmen von Familienvideos erinnern. Immer ist sie in Bewegung, probiert verschiedene Winkel und Perspektiven aus. Clausz‘ fantastische Kamerarbeit, seine phänomenal cineastischen Bilder und Jasmin Reuters betörend eingängige Filmmusik geben dem Film erst seine elegische Textur und machen ihn, trotz einzelner Schwächen zu einem überwältigen Kinoereignis.

Damit hat die sendungsbewusste Filmemacherin ihr Ziel, an gesellschaftlichen Tabus zu rütteln und Schicksale auszuloten, wohl erreicht. Schon während seiner Premiere im Wettbewerb auf der Berlinale 2016 hatten einige Zuschauer am Ende den Kinosaal in emotionalem Fieber verlassen. Und heftige Diskussionen werden wohl auch die Gemüter nach dem deutschen Kinostart wieder erhitzen.

SuT

„24 Wochen“, Regie: Anne Zohra Berrached, DarsellerInnen: Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, Kinostart: 23. September

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