„Herzstein“ von Gudmundur Arnar Gudmundsson


Gudmundur Arnar Gudmundssons Debütfilm  “Herzstein” sicherte sich den NDR Filmpreis bei den 58. Nordische Filmtagen. © Roxana Reiss / Fræ Films / Join Moti

Gudmundur Arnar Gudmundssons Debütfilm “Herzstein” sicherte sich den NDR Filmpreis bei den 58. Nordische Filmtagen. © Roxana Reiss / Fræ Films / Join Moti

Schweres Herz

Sattes weites Wiesenland soweit das Auge gucken kann. Am Horizont faltet der mittelatlantische Rücken seine Gebirgskette auf, umschlungen von fedrigen Wolkenformationen, die sich dorthin verirrt haben und nun an den Bergspitzen zu rasten scheinen. Die klare Luft trennt die grau-weiß-blauen Wetterfarben sauber und kontrastreich voneinander. Wie ausgemalt legt sich die erhaben wilde Landschaft in ihren kalten Farben Mensch und Tier zu Füßen. Verstreut ragen die winzigen Häuser der wenigen Einwohner mit ihren zumeist roten Giebeln aus dem flachen Land hervor. Einige liegen nah an den Klippen des Atlantiks, in deren Felswänden Papageientaucher ihre Höhlen haben, andere stehen inmitten steppenartigen Geländes. Dazwischen tummeln sich Schafe, Kühe und Pferde, stehen Stallungen, verlassene Schrott- und Spielplätze. Nur unbefestigte, ausgetretene und vom Regen verwaschen matschige Wege verbinden die ansonsten abgebundenen Orte. Während über die Ebene zu jeder Jahres- und Tageszeit ein kühler Wind fegt und den Gesichtern rosige Frische schenkt, brodeln unter der Erdoberfläche heiße Quellen und Magmaadern. Rau ist die Natur und rau ist der Ton in den überschaubaren Dorfgemeinschaften, wo das Dogma der Angepassten herrscht und die Geschlechterordnung noch immer einem veraltet traditionellen Geist zu folgen hat. Physische Überlegenheit gilt hier als Wert, sichert sie doch das Überleben in der ungezähmten und wenig zimperlichen Kulisse.

In dieser einerseits so reichen und andererseits so trostlosen Einöde wachsen die beiden besten Freunde Kristián und Þór auf. Blonde Locken, schmale Glieder, geschwungene Lippen, ein brutaler Vater und eine tief verwurzelte Traurigkeit charakterisieren das zerbrechliche Wesen Kristians. Þór dagegen ist der Jüngste in einer von Frauen dominierten Familie, in der seine leicht übergriffigen Schwestern ihre Scherze oft maßlos übertreiben. Doch Þór ist ein Trotzkopf, mit wachem, neugierigem Blick, wild, wehrhaft und stark. Die Jahre, die die zwei Freunde nun schon täglich miteinander verbringen, haben Þór und Kristián zusammengeschweißt. Sie wissen fast alles voneinander und teilen eine fürsorgliche Sensibilität, wie sie nur echten Wahlverwandschaften vertraut ist.
Was ihnen ihre durch Alkohol und Sex betäubten Eltern an Zuwendung, Liebe, Trost und Halt nicht geben können, suchen und finden fast alle Kinder der kleinen Gemeinde eher bei ihren Freunden, ein Zuhause. Als plötzlich aber Mädchen beginnen, die gewohnte Zweisamkeit zwischen Kristián und Þór zu stören und sich allmählich auch die Hormone regen, wird ihr freundschaftliche Idyll erschüttert.

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