„Empörung“ (OT: „Indignation“) von James Schamus


Ex-Berlinale-Jurypräsident James Schamus zeigt in "Indignation" wie die Liebe leben zerstört. Im Bild, seine Protagonsiten Logan Lerman und Sarah Gadon. © Winesburg Productions, LLC.

Ex-Berlinale-Jurypräsident James Schamus zeigt in „Indignation“ wie die Liebe leben zerstört. Im Bild, seine Protagonsiten Logan Lerman und Sarah Gadon. © Winesburg Productions, LLC.

Tugend braucht keine Ideale

Marcus Metzner ist ein guter Junge. Freundlich, aufgeweckt, überdurchschnittlich intelligent, ehrgeizig und trotzdem bodenständig. Aus einfachen Verhältnissen stammend, haben ihn seine Eltern alles gelehrt, worauf es in dieser Welt ankommt. Was sie ihm nicht beigebracht haben, ist das Recht, unnütze Prinzipien und Regeln bewusst zu hinterfragen. Trotzdem hat Marcus seinen eigenen Kopf und spricht aus, was er denkt. Zerrissen zwischen dem Wunsch, sich nahtlos in die Gesellschaft einzufügen und dem Bestreben, ein eigenes, reflektiertes Wertefundament zu entwickeln, ist Marcus zum Scheitern verdammt. Es ist das Jahr 1951. Die Zeit ist noch nicht reif für Querdenker.

Damals herrschte ein Zeitgeist vor, als der Wert einer Persönlichkeit noch nicht an Merkmalen wie Charisma, Intellekt, Esprit, Humor und Einzigartigkeit bemessen wurde. Eine Zeit, in der andere Maßstäbe angelegt wurden, um einen Menschen als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft einzuordnen. Tugenden wie Bescheidenheit, Fleiß, Ordnung, Sauberkeit und Manieren zählten mehr als Eigensinn und Individualismus. Bis schließlich durch den zunehmenden kapitalistischen Wettbewerbsdruck und dem Aufkommen von Star Appeal im Rahmen der Massenmedien eine Trendwende erfolgte: Aus der einstigen Konventionskultur wurde die heutige Persönlichkeitskultur, in deren Rahmen das Individuum sich nicht länger als untergeordneten Teil der Gesellschaft sieht, sondern als Subjekt mit einem freien Willen, den es in Eigenregie weiter zu kultivieren gilt.

Im Jahr 1951 fühlt sich Marcus folglich privilegiert, weil er als Spross einer jüdischen Metzgerfamilie dank eines Stipendiums ein College in Ohio besuchen darf und damit einer Einberufung zum Koreakrieg entgeht. Mit seinen ebenfalls jüdischen Zimmergenossen arrangiert er sich, den Beitritt zur jüdischen Studentenverbindung lehnt er jedoch ab. Marcus will sich nicht in Schubladen pressen lassen, denn er hat eigene Ambitionen: Er will Jura studieren, um nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten zu müssen. Und er interessiert sich für die blonde Olivia, die, wie er bald feststellen wird, ebenso wenig in diese mit Tugenden durchgetaktete Welt passt wie er selbst.

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