„303“ von Hans Weingartner


https://vimeo.com/254570177
Der 1977 geborene österreichische Regisseur war schon 2009 mit seinem Beitrag zu „Deutschland 09, 13 kurze Filme zur Lage der Nation“ zu Gast bei der Berlinale. Doch trotz preisgekrönter Filme wie „Die fetten Jahre sind vorbei“ (2004) hatte Weingartner große Schwierigkeiten, Fördergelder für sein dialoglastiges Konzept zu „303“ zu bekommen, und musste sich schließlich mit einem geringen Budget arrangieren – und mit einer nur aus acht Leuten bestehenden Filmcrew.
Jahrelang bereitete Weingartner den Film vor – allein der Castingprozess nahm vier Jahre in Anspruch. Hunderte Videointerviews mit jungen Menschen zwischen 20 und 30 über ihre Haltung zu Liebe, Beziehungen und politischen Systemen wertete er aus, um möglichst glaubwürdige Dialoge zu schreiben, die er wochenlang mit den jungen Hauptdarstellern Mala Emde („Wir töten Stella„, „Meine Tochter Anne Frank„; Studentin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“) und Anton Spieker (deutscher Schauspielerpreis in der Kategorie Nachwuchs für „Von jetzt an kein Zurück„) probte. Die Diskussionen der beiden wirken authentisch, fast improvisiert. Lange, kaum geschnittene Szenen erzeugen einen nahezu dokumentarischen Charakter, doch jedes Wort stand exakt so im Drehbuch.

Man könnte meinen, Weingartner habe Jan und Jule für „303“ überarbeitet und an die 2010er Jahre angepasst, denn genauso hießen auch die zwei Hauptfiguren in „Die fetten Jahre sind vorbei„. Noch immer sind Jan und Jule Idealisten, immer noch politisch, aber auf weniger radikale Art. Kapitalismuskritik ist auch in „303“ ein großes Thema, aber 2018 brechen Jan und Jule nicht mehr in Villen reicher Leute ein, um dort antikapitalistische Botschaften zu hinterlassen, sondern hinterfragen, reflektieren und kritisieren – und das sehr ausgiebig.

303“ kommt als ein philosophisches Roadmovie daher, dem es trotz oder gerade wegen seiner langatmigen Dialoge gelingt, 145 Minuten lang bestens zu unterhalten. Jan und Jule nehmen sich Zeit – viel Zeit. Nicht nur das Wohnmobil verbreitet Retro-Charme, auch die intensive Auseinandersetzung mit Themen und die langsame Annäherung der beiden bilden einen Gegenentwurf zur allgegenwärtigen Oberflächlichkeit und zum unverbindlichen und schnelllebigen Dating, das es oft auch auf die Kinoleinwand schafft. Weingartner kehrt dem Mainstream den Rücken und hält sich ganz an das dem Film vorangestellte Rilke-Zitat: „Dieses ist das erste Vorgefühl des Ewigen: Zeit haben zur Liebe.“

Stefanie Borowsky

303„, Regie: Hans Weingartner; DarstellerInnen: Mala Emde, Anton Spieker, Kinostart: 12. Juli 2018.

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