„Verlorene“ von Felix Hassenfratz


Die Doppelmoral ist in diesem Film allgegenwärtig. Eben noch sieht man Täter und Opfer gemeinsam in der Kirche „Wachet und betet“ singen, direkt darauf folgt eine Missbrauchsszene. Vor provinziell-idyllischer Kulisse zeigt „Verlorene„, dass sexueller Missbrauch überall stattfindet, auch hinter vermeintlich braven, bürgerlich-christlichen Fassaden auf dem Dorf.

Das eindrückliche Spiel von Maria Dragus („Licht„, „Tod einer Kadettin„), die mit „Tiger Girl“ schon auf der Berlinale 2017 begeisterte, berührt und wühlt auf. Clemens Schick („4 Könige„, „Stille Reserven„, „Overdrive„) spielt ebenso überzeugend wie Anna Bachmann, die mit „Verlorene“ ihren ersten Kinofilm gedreht hat.

Hassenfratz entwickelte das Drehbuch, nachdem die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule ans Licht kamen. Mit der Geschichte von Maria verdeutlicht er, wie schwer es Missbrauchsopfern oft fällt, das Schweigen zu brechen, sich jemandem anzuvertrauen und über den Missbrauch zu sprechen – selbst wenn nahestehende Menschen einen Verdacht äußern und das Gespräch suchen. Falsche Schuldgefühle, Scham oder die Angst, nicht ernst genommen zu werden, können eine große Rolle spielen. „Verlorene “ leistet einen wichtigen Beitrag dazu, mehr Verständnis für die Opfer aufzubringen, auch vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte, in der Missbrauchsopfern häufig vorgeworfen wird, erst spät – vielleicht zu spät – über die Tat(en) gesprochen zu haben.

Stefanie Borowsky

Verlorene„, Regie: Felix Hassenfratz; DarstellerInnen: Maria Dragus, Anna Bachmann, Clemens Schick, Enno Trebs

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