„Paranza – Der Clan der Kinder“ (OT: „La paranza dei bambini“) von Claudio Giovannesi



Das mit dem Silbernen Bären der Berlinale auszgezeichnete Drehbuch schildert eine fiktionalisierte Variation von Vorgängen in der neapolitanischen Unterwelt. Die Romanvorlage stammt von Roberto Saviano, der bereits die Geschichte zu Matteo Garrones preisgekröntem „Gomorrha“ (2008) verfasst hat. Doch im Gegensatz zu diesem ist „Piranhas“ weniger an den Funktionsweisen von mafiösen Strukturen an sich interessiert. Vielmehr geht es um die Vermittlung eines nachvollziehbaren Blickwinkels der jungen Leute auf ihre unmittelbare Umgebung. Ihre Risikobereitschaft und die Erprobung des eigenen Einflusses wird nicht durch ein funktionierendes soziales System in Grenzen verwiesen. Sie agieren in einem isolierten Raum ohne den Einfluss von Erziehungsberechtigten oder der Staatsmacht. Die Mafiabosse, die das Geschäft hinter den Kulissen kontrollieren, sind alternde Männer, die sich auf eingespielte Strukturen verlassen. Eine Welt aus vergangenen Tagen, welche die sizilianische Fotojournalistin Letizia Battaglia in der Dokumentation „Shooting the Mafia“ bei der diesjährigen Berlinale eindrucksvoll dokumentiert hat.

Genau hier greifen Nicola und seine Freunde an und versuchen, die festen Muster zu durchbrechen. Dabei sind sie jedoch immer noch Kinder und händeln die Schusswaffen – anfangs Pistolen, später große Sturmgewehre – als wären diese Spielzeuge. Ihre großen Ziele sind teuere Designerklamotten, Sneaker und schnelle Motorroller. Trotzdessen versucht Nicola eine egozentrische Samariterrolle einzunehmen und Gutes zu tun. Die Markthändler müssen ihm kein Schutzgeld mehr zahlen und er stattet die Wohnung seiner Mutter mit teuren Designermöbeln aus. Im selben Moment streitet er sich jedoch mit seinem kleinen Bruder über die Törtchen im Küchenschrank. Genau diese Ambitionen führen zu gefährlichen Konflikten innerhalb der Gang. Sie begreifen noch nicht, dass die Welt größer ist als die wenigen Meter vor ihrer Haustür und ihre Handlungen weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Denn von ihrem Blickpunkt aus dem Inneren heraus erscheinen die geschilderten Ereignisse nicht annähernd so absurd und dramatisch, wie von außen betrachtet.

In diesem riskanten Spiel stechen vor allem die jungen Darsteller hervor, die allesamt zum ersten Mal vor der Kamera standen. Regisseur Claudio Giovannesi drehte sämtliche Szenen in chronologischer Reihenfolge und weihte die Schauspieler im vorhinein nicht in den Handlungsverlauf ein. Dadurch verleihen ihre glaubhaften Darstellungen der dramatisierten Geschichte eine eindrückliche und greifbare Form. Im Scope-Format an Originalschauplätzen gedreht, vermittelt „Piranhas“ ein faszinierendes Gefühl von Spontaneität, das ganz im Hier und Jetzt verortet ist.

Henning Koch

Paranza – Der Clan der Kinder“ (OT: „La paranza dei bambini„), Regie: Claudio Giovannesi, Darsteller*innen: Francesco Di Napoli, Viviana Aprea, Ar Tem, Alfredo Turitto, Valentina Vannino, Renato Carpentieri, Kinostart: 22. August 2019

Bei der 69. Berlinale gewannen Maurizio Braucci, Claudio Giovannesi und Starautor Roberto Saviano den Silberner Bär für das Beste Drehbuch.

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